Suche
Suche Menü

Kritikenrundschau: Dorfromantik – Stadtflucht mit Plättchen

Raus aus der Stadt, ab ins Naherholungsgebiet! Oder gleich ab aufs Land, mit seinen wogenden Getreidefeldern, munter plätschernden Bächen und malerischen Dörfern. Danach zumindest klingtder Titel des auf einem Computerspiel basierenden „Dorfromantik“ (Michael Palm und Lukas Zach bei Pegasus Spiele). In ihren jeweiligen Medien haben unsere Jurymitglieder die dörfliche Idylle Plättchen für Plättchen erkundet.

„Sechseckplättchen werden gelegt. Sie zeigen die Landschaftstypen Wald, Getreide, Dorf, dazu Flüsse und Bahngleise. Flüsse und Gleise dürfen beim Anlegen nicht unterbrochen werden; die anderen Landschaften passen immer“, erklärt Stefan Gohlisch das Spiel. „Dazu liegen immer drei Auftragsplättchen aus, dazu Marker. Die besagen, welcher Landschaftstyp hier wie oft benachbart liegen sollte. Ist ein Auftrag erfüllt, sammelt man Punkte und legt das nächste Auftragsplättchen aus. Sind alle Landschaftsplättchen aufgebraucht, werden die Punkte gezählt.“

„Dorfromantik – das Brettspiel“ sei ein „cozy game“ findet Gohlisch, und dabei gleichzeitig die „Quintessenz eines Legespiels“. Er schreibt: „Durch die große Reduktion entsteht eine fast meditative Stimmung am Spieltisch, ohne dass man das Gefühl bekommen muss, es ginge um gar nichts. Spielerischer Ehrgeiz entsteht zum einen dadurch, dass man gerne den eigenen Highscore knacken möchte. Zum anderen schalten höhere Punktzahlen nach und nach neue Regeln und Möglichkeiten frei, verborgen in fünf verschlossenen Kartons in der Spielschachtel. Man möchte einfach wissen, was drinsteckt.“ Für Gohlisch ist „Dorfromantik“ „ein Kaffee-und-Kuchen-Spiel, das gekonnt auf Harmonie statt auf Wettbewerb setzt, ohne dabei banal zu sein. Das macht es zu einem idealen Kandidaten für Gelegenheitsspieler und für eine Partie nebenher.“¹

Maren Hoffmann entdeckt in „Dorfromantik – Das Brettspiel“ eine „kongeniale“ Übersetzung des digitalen Spieles ins analoge Spiel. Es stünde dem Original in nichts nach, findet sie. „Der friedlich-meditative Landschaftsbau am Familientisch funktioniert in fast jeder Runde exzellent – allein natürlich auch, wenn man mal digital detoxen und trotzdem spielen möchte. Im Grunde ist es nämlich ein Solospiel geblieben, das man aber prima mit anderen teilen kann und das über einen extrem entspannten Hop-on-hop-off-Mechanismus verfügt“, schreibt Hoffmann. Insgesamt findet sie es ein „belohnendes Wohlfühlspiel“, gerade auch, weil immer mehr Zusatzelemente ins Spiel kämen.²

Bernhard Löhlein wird in seinen Partien vom „Dorfromantik-Virus“ gepackt: „Am Ende wollen wir eine hohe Punktzahl erreichen“, sagt er. „Dann dürfen wir weitere Schachteln öffnen und die nächste Herausforderung freischalten. Es wurde Abend und es wurde Morgen. Nächste Partie.“ Für ihn ist die sachte Lernkurve des Spiels bemerkenswert: „Der Einstieg ist einfach, das Spiel führt uns behutsam an die neuen Aufgaben heran. Da schlägt das Spielerherz höher“, sagt er.³

Auch Manuel Fritsch erkennt im Brettspiel das digitale Spiel sofort wieder. „Das Spielprinzip und -gefühl sind dem digitalen Vorbild sehr ähnlich, die Ästhetik und Tischpräsenz sofort erkennbar. Die grundlegendste Änderung: Die Papierumsetzung wirft – vermutlich nicht nur aufgrund der aktuellen Rohstoffpreise – den Endlosstapel über Bord. Der ‚Überlebensmodus‘ ist einer Kampagne gewichen, die in mehrere rund dreißig- bis vierzigminütige Partien unterteilt ist.“ Das neue Material in den Schachteln zu entdecken, findet Fritsch „motivierend“, findet dort aber auch ein kleineres Manko: „Parallel laufende Spielgruppen mit unterschiedlichen Fortschritten sind nicht ohne zeitraubende Sortierarbeiten vor jedem Wechsel vorzubereiten.“ Dennoch hätte es das Autorenduo geschafft, „die meditative PC-Soloerfahrung in eine gesellige und kommunikative Gruppenarbeit zu verwandeln“, schreibt er. „Es ist eine Freude zu beobachten, wie selbstverständlich und leidenschaftlich Wenig- bis Quasi-Garnicht-Spielende nach wenigen Partien auch mit selbsternannten Experten gemeinsam über die beste Anlegestelle debattieren. ,Dorfromantik‘ eliminiert das Problem des in kooperativen Spielen so häufig auftretenden Leithammels. Die eine perfekte Stelle zur Lösung der nächsten Aufgabe existiert nur sehr selten, und selbst dann kann einem das Kartenglück einen Strich durch die Planung machen.“ Fritsch lobt außerdem das sehr positive Spielerlebnis: „Es gibt keine Bestrafung dafür, wenn die Punktzahl nicht für die nächste Geheimnisbox reicht. Jede Partie wird positiv auf dem Kampagnenblatt vermerkt und ist immer mit Progression verbunden. ‚Dorfromantik‘ passt sich dem Tempo der Gruppe an. Es funktioniert sowohl in Runden, in denen ganz klar fokussiert immer eine konkrete Aufgabe in den Mittelpunkt gestellt wird, als auch in einer Gruppe, die lieber ästhetisch und schön bauen möchte.“ Der Verlag hätte hier einen „echten Coup“ gelandet.

Diesen Eindruck bekräftigt Fritsch von einmal in seinem Podcast: „15 Partien haben wir jetzt gespielt, und ich habe immer noch Lust drauf“, sagt er. Außerdem ergänzt er: „Es ist ein ideales Solospiel, aber es funktioniert auch als kooperatives Spiel wirklich gut.“ Mit mehr als vier Menschen würde er es allerdings nicht spielen.

Am Anfang, sagt Julia Zerlik, hätte sie das Spiel nicht in seinen Bann geschlagen. „Je mehr wir freigeschaltet hatten, desto mehr haben wir diskutiert über die einzelnen Züge. Auf einmal hat es uns so richtig reingezogen.“ Sowohl zu zweit als auch zu viert habe ihr das Spiel gut gefallen. Zu sechst würde sie es allerdings nicht spielen wollen. Die Partien könnten sich dann ziehen, weil sich die Diskussionen über die Spielzüge sehr in die Länge ziehen könnten. Zwei Kritikpunkte hat sie: Die Grenzen der Plättchen könnten manchmal etwas unübersichtlich sein. „Das hätte man einen Ticken klarer machen können.“ Außerdem seien die Regeln der neuen Plättchen oft nicht ganz klar. Hier müsse sich die Runde einigen. „Es macht viel Spaß diese Boxen zu erkunden. Für meinen Geschmack hätte noch mehr Material dabei sein können.“

Auch Udo Bartsch sei zunächst skeptisch gewesen, schreibt er und bezeichnet die Anlegeregeln als „irritierend einfach“. „Gruppen, mit denen ich ‚Dorfromantik‘ ausprobiert habe, wollten nach einer oder zwei Partien schon nicht mehr weitermachen, was dazu geführt hat, dass ich immer wieder das Startszenario gespielt und mich gelangweilt habe.“ Doch „wenn mehr Teile und Projekte ins Spiel kommen und viele Dinge gleichzeitig unter einen Hut gebracht werden müssen“ werde das Spiel zunehmende interessant. „Gerade die Tatsache, dass man nicht alles optimal hinkriegen kann, motiviert dazu, es immer wieder von Neuem anzugehen“, schreibt Bartsch. „Bald entwickelt sich ein Flow. Obwohl man immer wieder von vorn beginnt, hat ‚Dorfromantik‘ den Reiz eines Endlosspieles. Es beginnt ganz klein – und wird immer größer, gar riesig. Es geht immer voran, mal schneller, mal langsamer, das Spielgefühl ist konstruktiv. Man kann auch gar nicht verlieren, sondern höchstens weniger gewinnen.“ Es sei eine „gemütliche Puzzelei“. Er freue sich auf Erweiterungen, schreibt Bartsch, auch wenn er die Regeln für neue Teile nicht immer perfekt erklärt findet und das Spiel für nicht mehr als vier Personen empfiehlt.

Martina Fuchs ist begeistert, vor allem vom Verlauf der Kampagne: „Später wird es so schwierig, die Aufträge zu erfüllen, dass man vorausplanen muss“, sagt sie. Das hätte in ihren Spielrunden dazu geführt, „dass es Jubel, Frust, dass es alles Mögliche an diesem Tisch gibt. Denn je länger man dieses Spiel spielt, desto riskanter spielt man.“ Es sei ein „Wohlfühlspiel“, das einem immer wieder neue Möglichkeiten eröffne. Auch mit Viertklässlern habe das Spiel sehr funktioniert. „Im Moment könnte ich ständig ‚Dorfromantik‘ spielen.“

Auch Tim Koch fühlt sich in der hübschen Landschaft wohl. „Der kooperative Aspekt beschränkt sich auf gemeinsame Überlegungen, die Legeregeln lassen einem möglichst viele Freiheiten. Da der Zufall eine nicht unwesentliche Rolle spielt, geht der Diskussionsstoff dabei nicht aus“, schreibt er. „Und selbst wenn es mal nicht läuft, vermitteln die Punkteausbeute und die neu freigeschalteten Elemente ein positives Spielgefühl. Die verschlossenen Boxen und der Reiz des Neuen locken einen immer wieder an den Spieltisch. Gerade erfahrenere Spieler lechzen schnell nach weiteren Herausforderungen und gegen Ende müssen viele Elemente jongliert und viele Punktequellen unter einen Hut gebracht werden.“ Koch findet, dass die Regeln nicht optimal gelöst seien. „Einige der neuen Spielelemente sind nicht gut erklärt und führen zu Verwirrung und Spielfehlern. Zudem kommt ,Dorfromantik‘ gerade bei erfahrenen Spielern teilweise etwas zu brav daher. Ganz ohne Ecken und Kanten, fast schon ohne echte Herausforderung.“ Es sei eben ein Spiel, in dem man „gemütlich, sorgenfrei und gemeinsam etwas Neues entdecken“ könne.

Johanna France sagt: „Ich habe da ein richtiges Suchtpotential entwickelt.“ In ihren Runden seien sie „richtig reingezogen“ worden. Viel Reiz entstehe dadurch, dass man immer wieder etwas Neues ins Spiel kommt. „Das Freischalten ist total aufregend.“ Kritik übt sich am großen Glückfaktor: „Ich hatte Partien, wo wir gezogen haben und alle Aufträge erfüllt haben, ohne dass wir das Gefühl hatten, besonders gut gespielt zu haben.“ Schade findet sie außerdem, „dass sich viele der freigeschalteten Plättchen sehr ähnlich sind.“ Dennoch sei das Spiel „für Personen, die nicht viel spielen, ein großartiger Einstieg.“¹⁰

Stephan Kessler findet „Dorfromantik“ „wahrlich nicht innovativ. Aber das Konzept des Plättchenlegens wurde hier gekonnt heruntergebrochen.“ Für ihn funktioniert das Spiel eher auf eine „meditativer Ebene“, sagt er. „Voll im Flow erfüllt man Aufgabe um Aufgabe und vor den Spielenden entsteht meist eine wunderschöne Dorflandschaft. Viele unterschiedliche Arten von Menschen werden dadurch angesprochen und vor dem Spieltisch vereint.“ Für ihn fehlen allerdings die emotionale Höhepunkte. „Es gibt nur wenige Momente, in denen wir uns voller Freude abklatschten.“ Denn durch die neuen Spielemente sei „der Erfolg vorprogrammiert“, allerdings variierten sie das Spielprinzip nur sehr wenig, findet er. „Dadurch fühlen sich die einzelnen Partien trotz neuer Plättchen recht gleich an.“¹¹

Kessler spricht auch mit Nico Wagner über „Dorfromantik“. Hier kritisiert er, dass gegen Ende der Kampagne viele Plättchen dazukämen. Dann hätten sich die Partien so angefühlt, „als würde ich eine Checkliste abarbeiten“.
Nico Wagner meint: „So sehr mir die Einzelpartien gefallen: Der Kampagnenmodus gefällt mir nicht so gut.“ Viele der neu ins Spiel gekommenen Plättchen seien sehr ähnlich. „Wenn du viel freigeschaltet hast, wird es ein bisschen Stadtplanung: nicht mehr so locker-leicht wie am Anfang.“ Plötzlich gebe es zehn Wertungen, „und zwar alle gleichzeitig.“ Auch Wagner empfiehlt das Spiel für Gruppen mit bis zu vier Spielenden. „Ansonsten könnten Fehler in der Übersicht passieren, weil man gerade im Solospiel nicht auf alle Wertungen gleichzeitig achten könne.¹²

Harald Schrapers weist darauf hin, dass bei „Dorfromantik“ ein „Wissenstransfer vom analogen zum digitalen Spiel und wieder zurück“ stattgefunden habe – denn schon in der Begründung des Deutschen Computerspielpreises, den die digitale Variante des Spiels erhalten hat, habe gestanden: „Ähnlich einem analogen Brettspiel werden nach und nach Karten aneinandergereiht, um ganz ohne Zeitdruck eine Landschaft aufzubauen“, so Schrapers. „‚Dorfromantik‘ ist in seiner digitalen Version ein Solospiel, und im Grunde ist seine analoge Variante auch eines. Doch macht es keinen Sinn, etwas solitär auf einem Tisch zu spielen, was es viel attraktiver aufbereitet auch als Spiel für den PC oder die Nintendo Switch gibt. Sondern das haptisch greifbare Material macht aus ,Dorfromantik‘ ein Gesellschaftsspiel, das man in Gemeinsamkeit mit einem anderen Menschen erleben möchte.“ Wichtig sei dabei allerdings, dass „zwei Leute miteinander spielen, die sich auf ähnlicher spielerischer Wellenlänge befinden. Wenn bei einer Seite das Gefühl entsteht, es allein viel effizienter spielen zu können, macht das Spiel niemandem wirklich Freude. Wenn man hingegen gut harmoniert, erzeugt ,Dorfromantik‘ einen spielerischen Sog.“ Für mehr als zwei Personen empfiehlt Schrapers das Spiel nicht: „Denn selbst in höheren Leveln gibt es kaum derart kniffligen Situationen, dass man für deren Lösung die gebündelten Überlegungen von mehreren Mitspielenden benötigt.“¹³

Auch im spielerischen Quartett war „Dorfromantik“ Thema. „Ich sehe das vor allem als Solospiel“, sagt Karsten Grosser dort. „Soviel Diskussionsstoff gibt es da gar nicht, weil die Möglichkeiten begrenzt sind.“ Das Spiel habe ein cleveres Konzept. Aber das, was von Partie zu Partie hinzukomme, verändere nichts Weltbewegendes. Er erkenne, „dass das ein gutes Spiel ist. Aber es fesselt mich nicht“, kritisiert er im Spiel-des-Jahres-Podcast.¹⁴

¹ Neue Presse, 25.11.2022
² Spiegel: Harmonischer wirds nicht. Brettspiele zum Wohlfühlen (kostenpflichtig)
³ Radio IN: Spiel der Woche vom 11.2.2023
⁴ Spielbox 6/22: Von Pixel zu Pappe
Le Brett vom 7.11.22
Spiel doch mal…: Dorfromantik
Rezensionen für Millionen: Dorfromantik – Das Brettspiel
Fux&Bär: Dorfromantik: Ist das gut oder kann das weg?
Spielfreu(n)de: Dorfromantik
¹⁰ Spümaschin 36
¹¹ Krimimaster: Wie schaffe ich es, eine idyllische Landschaft zu erschaffen?
¹² Brettagogen #207
¹³ games we play: Dorfromantik
¹⁴ Das spielerische Quartett #16