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Kritikenrundschau: Top Ten – mit feigem Huhn und Rocky Balboa

„Top Ten“ (Aurélien Picolet bei Cocktail Games) bietet Antworten auf eher, sagen wir, ungewöhnliche Fragen. Ob mehr glitzernde Einhörner oder lachende Kackhäufchen, beides ist auf dem Cover zu sehen, in dem Spiel stecken, steht in den Rezensionen unserer Jurymitglieder.

„,Was nimmst du mit, um die Sahara zu durchqueren?‘ Alle Mitspielenden haben eine verdeckte Zahlenkarte bekommen und müssen antworten. Das Spektrum reicht von Mist bis Einhorn. Wer die Karte mit der 1 hat, antwortet irgendwelchen Mist: 25-Kilo-Sack Spielsand. Und die 10er-Antwort – Einhorn – könnte lauten: geländegängiger Tanklastzug randvoll mit Trinkwasser. Schwieriger ist es für die Spielerinnen, die eine Zahl dazwischen haben. Sie reagieren mit klug abgestuften Antworten. Anschließend muss der Startspieler die Antworten in aufsteigender Reihenfolge sortieren“, erklärt Harald Schrapers das Spiel. „Fünf Aufgaben muss die Runde schaffen. Und abhängig von der Spielerzahl dürfen bis zu acht Fehler gemacht werden: Pro Fehler wird ein Chip von der Einhornzone des Spielplans in die Misthaufenzone geschoben.“

Besonders schön an „Top Ten“ sei die Vielfalt der Aufgaben: „Die meisten sind eher nüchtern, wie etwa die Frage nach einem schlechten oder guten Grund zu heiraten. „‚Sag jemandem ›Hallo‹ mit unterschiedlichen Worten: rüde bis sehr kultiviert‘ – dabei kann man auch schreiend und säuselnd schauspielern. Wenn wir einen Boxer im Ring nachspielen sollen – ‚von feiges Huhn bis Rocky Balboa‘ – ist Pantomime angesagt.“ Bei den fünf Runden, die laut Regel gespielt werden sollen, bleibe es meist nicht – gerade auch, weil gerne alle Mitspielenden mal Käpten – also Startspieler:in – sein wollten, was bei größeren Runden aber nicht aufgehe. Aber das mache nichts, schreibt Schrapers. Dann spiele man eben noch eine Runde. Und überhaupt: „Mit vielen Leuten macht es am meisten Spaß, auch weil es dann anspruchsvoller wird, da die die Antwort vorgebenden Zahlenkarten dann immer eng beieinanderliegen.“¹

Bei Nico Wagner ist das Spiel momentan ein „Dauerbrenner“, es macht ihm „Megaspaß.“ Schon bei der Aufgabenverteilung müssten die Spielenden grinsen, sagt er, und wenn es dann ans Spielen geht, „johlt wirklich jeder am Tisch. Entweder musst du selbst überlegen, was du gleich machst, oder du guckst den anderen zu und es passiert ständig was.“ Allerdings ginge das nur mit der richtigen Gruppe, die sich auch darauf einlassen muss. „Das ist so ein typisches Mach-dich-zum-Affen-Spiel“.²

Eigentlich sei sie „kein Fan von solchen Partyspielen, wo man sich so was lustiges ausdenken muss. Das ist einfach nicht mein Ding“, sagt Julia Zerlik. Aber: „Ich wurde selten so positiv überrascht wie hier, weil: dieses Spiel ist wahnsinnig lustig.“ Sie glaubt, es sei das Spiel, bei dem sie am meisten gelacht hat. Das liege vor allem an den Aufgaben, die man erledigen müsse. Sie seien eine „tolle Mischung“ aus Pantomime, Erzählen und Erklären. „Da kommen sofort Bilder in den Kopf wie man das umsetzt“, sagt sie. Auch Zerlik findet, das Spiel sei umso besser, je größer die Gruppe ist.³

„‚Top Ten‘ lebt davon, wie sich die Spieler:innen kreativ einbringen“, schreibt Udo Bartsch. „Und wie das Spiel hierfür Anreize setzt, ist schlichtweg bravourös: Die Aufgaben machen neugierig, sie sind nicht der übliche Standardkram, den man schon anderswo gespielt hat. Die pantomimischen Aufgaben müssen niemandem peinlich sein. Und wenn eine Gruppe möchte, kann sie alles, was Körpereinsatz erfordert, auch umgehen (bringt sich damit aber um einen Teil des Spielspaßes).“
Beeindruckt zeigt Bartsch sich von den 500 unterschiedlichen Aufgaben, die in „Top Ten“ enthalten seien. „Es ist wenig dabei, das wie Füllmaterial rüberkommt. Es wirkt so, als hätten es aus einem großen Ideen-Pool nur die besten in die Schachtel geschafft“, schreibt er. Auch das Material gefällt ihm, nicht nur die Chips, mit denen der Spielstand markiert wird, sondern auch die Zahlenkarten. „Die Zahlenkarten von eins bis zehn sind – anders als die Aufgabenkarten – aus Kunststoff“, schreibt Bartsch. „So wird auch nach vielen Partien nicht anhand der Rückseite erkennbar sein, wer welche Nummer gezogen hat.“
Nur zwei Dinge stören ihn: „Erstens ist das der Titel, denn um eine Top Ten geht es hier nicht, sondern um die volle Bandbreite von ganz oben bis ganz unten. Zweitens ein unglücklicher Passus in der Anleitung. Dort steht, die Spieler:innen dürfen in einer Reihenfolge ihrer Wahl agieren. Das hilft Zurückhaltenden, die erst mal gucken wollen, was die anderen machen. Aber es führt auch dazu, dass Spieler:innen mit Extremwerten den Auftakt machen und die anderen sich entsprechend ihrer Zahl selbst einsortieren. Für mein Empfinden schmälert das den Reiz, weshalb ich am liebsten strikt im Uhrzeigersinn spiele.“ Insgesamt aber ist auch Bartsch von „Top Ten“ vollauf überzeugt.

Der Meinung ist auch Bernhard Löhlein. Für ihn ist „Top Ten“ auf jeden Fall in der Top Ten der besten Spiele in diesem Jahr. „Ich schwöre es“, sagt er in einer seiner Kurzrezensionen im Radio: „Bei keinem anderen Spiel habe ich jemals so viel lachen müssen. Wenn jemand zeigen soll, wie schwer sein Stuhlgang ist und dabei die 10 gezogen hat: Wir lagen alle unter dem Tisch.“

Auch in unserem „Spielerischen Quartett“ ➜ ging es um „Top Ten“. Martina Fuchs hob hervor, dass es ein Spiel sei, das man auch in einer heterogenen Gruppe gut spielen kann. „Gerade, wenn man nah aneinanderliegende Zahlen hat, ist es phänomenal. Ich freue mich auf viele weitere Runden.“

¹ Spielbox Heft 6/21: „Perfektioniertes Match“
² Brettagoge: Vertiefungsstunde #178
³ Spiel doch mal…: Top Ten
Rezensionen für Millionen: Top Ten
⁵ Radio IN, Spiel der Woche vom 18.12.2021