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Kritikenrundschau: Feed the Kraken – Piraterie mit Hindernissen

Augenklappe auf, Papagei auf die Schulter und ab in die Wanten: In „Feed the Kraken“ (Maikel Cheney, Hans Joachim Höh und Tobias Immich bei Instabil und Funtails) wird gesegelt. Mit Piraten, Kraken und allem, was dazugehört. Nur wollen leider nicht alle Besatzungsmitglieder in dieselbe Richtung. Unsere Jurymitglieder haben sich in ihren jeweiligen Medien an Deck begeben und das Spiel durch ihre Fernrohre ganz genau betrachtet.

Wir sind die Crew eines Schiffes, trotzdem sind wir kein Team. Die Loyalen wollen das Schiff tendenziell Richtung Osten segeln. Und sobald es eines der blauen Zielfelder erreicht, gewinnen sie. Die Pirat:innen wollen das Schiff auf eines der westlichen, roten Felder navigieren. Und dann gibt es noch den Kultisten, der das mittlere, gelbe Zielfeld anpeilt oder alternativ dem Kraken, dem das Schiff unterwegs begegnet, geopfert werden möchte. Die Rollen wurden geheim zugelost; nur die Pirat:innen kennen einander von Beginn an“, erklärt Udo Bartsch das Spiel. „In einer geheimen Abstimmung dürfen nun alle Crewmitglieder, indem sie Pistolenmarker einsetzen, gegen diese Postenvergabe rebellieren. Bei Erfolg übernimmt ein anderer Kapitän das Amt und verteilt die Rollen neu. Irgendwann setzt sich – spätestens mangels Pistolen – ein Vorschlag durch. Dieser Ablauf wiederholt sich, bis ein Team die Siegbedingung erreicht“, so Bartsch.

„Und so passiert das, was in Social-Deduction-Spielen passieren soll: Man belauert einander, man bangt, nicht enttarnt zu werden, man legt falsche Fährten, man täuscht oder lässt sich täuschen. Das ist spannend bis zum allerletzten Zug.“ Im Detail sei das alles aber noch komplizierter. Bartsch bemängelt die vielen „Kleinregeln“ von „Feed the Kraken“. „Selbst das vereinfachte Einstiegsspiel beinhaltet noch arg viele Details, die das Spiel hemmen.“ Dennoch hat er „überwiegend tolle und lustige Partien“ erlebt. „Neben dem generellen Kitzel geheimer Identitäten und Komplotte tragen gerade das stimmige Setting und das Flair der Ausstattung zu einem besonderen Erlebnis bei. Andererseits muss ich einräumen: ‚Feed the Kraken‘ folgt der Struktur anderer Spiele dieses Genres; mechanisch sehe ich wenig Neues. Es gibt überdies einfachere Spiele, die schneller auf den Punkt kommen und trotzdem ähnliche Emotionen kreieren.“
Ganz praktische Probleme ergäben sich in größeren Runden, „wenn etwa alle elf Personen unfallfrei ihre Hand zur Tischmitte ausstrecken und die Augen schließen müssen, damit der Kultist geheim Pistolenmarker erst vom Vorrat nehmen und dann verteilen kann, ohne sich durch Geräusche oder ungewollte Berührungen zu verraten.“ Das sei nicht immer möglich. Außerdem bemängelt Bartsch, dass auch der Standardausgabe die Regeln der Luxusausgabe beiliegen „und ich mir herleiten muss, was für meine Version gilt.“¹

Maren Hoffmann findet in den Regeln „ziemlich viel Brimborium für ein einfaches Spielprinzip, aber es trägt ungemein zur Atmosphäre bei.“ Ein guter Twist sei die Rolle des Kultführers, der gewinnt, wenn das Schiff am Ende auf einem Krakenfeld landet – oder er selbst dem Kraken geopfert wird. „In den allerersten Runden fällt es manchen Spielern schwer, die Rolle der Kommunikation für den Spielablauf zu begreifen“, schreibt Hoffmann. „Darf man wirklich alles sagen? Und einfach so lügen? Ja, darf man – und muss man. Vielleicht brauchen eher schweigsame Mitspieler einen kleinen Stups, während man andere bremsen muss, damit die Debatten nicht ausufern. Aber das klappt auch in größeren Runden überraschend gut.“ Für Hoffmann gewinnt das Spiel mit steigender Zahl der Spielenden. „Das Regelwerk ist auch schnell vermittelt, wenn sich einer gut eingearbeitet hat, aber ohne Erklärer kommt man nicht gut aus, sonst wird das Set-up extrem zäh. Das Spiel bietet eine intensive Gruppenerfahrung und eignet sich auch gut als Eisbrecher für Truppen, die einander noch nicht so gut kennen“, schreibt sie und kommt zu dem Fazit: „Es kann erstaunlich viel Spaß machen, von seinen Mitmensch enttäuscht zu werden.“² In einem zweiten Text zu „Feed the Kraken“ bekräftigt Hoffmann ihren positiven Eindruck: „‚Feed the Kraken‘ ist sehr kommunikativ – man darf alle einmal getroffenen Entscheidungen und Erkenntnisse miteinander besprechen. Aber klar: Die rauen Gesellen an Bord sind weniger der Wahrheit verpflichtet als interessengetrieben. Wer gut bluffen kann, kommt unter Umständen weit. Das Spielprinzip Social Deduction, also die Suche nach Verrätern, ist nicht neu, aber hier mit so viel Liebe zum Detail, so opulentem Material und so feinen Zusatzmechaniken versehen, dass es eine wahre Freude ist, harr harr!“³

Auch Christoph Schlewinski und Julia Zerlik haben sich zur fröhlichen Piraterie getroffen: „Das Spiel lebt ein bisschen von dem Witz: Kommen ein Pirat, ein Kultist und ein Segler in eine Kneipe“, charakterisiert Schlewinski das Spiel. Zwar hätte es viele kleine Details, sei aber sehr strukturiert und dadurch „eigentlich sehr einfach“, sagt er. „Man muss immer beobachten: Wer macht wann was? Es wird viel diskutiert. Es wird viel beschuldigt, es wird viel behauptet.“ Wie Bartsch bemängelt Schlewinski die praktischen Hindernisse im Spielverlauf, die sich in großen Runden ergäben. Geheime Bewegungen seien kaum möglich, auch wenn andere Spielende die Augen geschlossen hielten. Ein „Riesenärgernis“ ist für ihn, dass das Spiel anhand der Regeln der Luxusausgabe auch bei der Standardausgabe erklärt wird. Man werde ständig daran erinnert, nur die Standardedition zu haben, in der Materialien wie Beutel, Abzeichen und Miniaturen nicht enthalten sind. Das erschwere es, sich das Spiel zu erarbeiten.
Julia Zerlik findet, in ihren Runden sei „wenig“ Deduktion dabei gewesen und mehr Zufall. „Mir ist es nie gelungen, am Ende auch nur annähernd sagen zu können, wer zu wem gehört.“ Auch für sie haben sich in größeren Runden praktische Hindernisse ergeben, man habe in das Spiel „zuviel reingepackt“. Ein großer Teil der Spielzeit ginge für das Handling der Materialen und Regeln drauf. „Man kommt nicht in einen richtigen Spielfluss“, stellt sie fest. „Was ich in der großen Runde am schwierigsten fand: Es gab Leute, die waren im ganzen Spiel nichts, weder Kapitän noch im Navigationsteam.“ In kleineren Runden allerdings funktioniere das Spiel besser. „Dann ist es kompakter, man kommt öfter dran.“ Dann könne es viel Spaß machen.

¹ Rezensionen für Millionen: Feed the Kraken
² Spielbox 5/22: Hurra, Hurra, Mann über Bord!
³ Spiegel: Wer ist hier Segler und wer Pirat?
Spiel doch mal…: Frisch vom Tisch Vol. 58