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Kritikenrundschau: Iki – Urbanität und Raffinesse

Iki ist ein Begriff, der sich kaum übersetzen lässt: Er umschreibt eine Geisteshaltung im alten Japan, die Abgeklärtheit und Empfindsamkeit beinhaltet, Understatement, Esprit, Altersweisheit und Naivität in einem. Also: Voller Gegensätze, die, wenn alles gut läuft, zu einem harmonischen Ganzen ineinandergreifen. „Iki“, das Spiel von Koota Yamada, hat demnacht ein großes Ideal, dem es nachzueifern versucht. Schon 2014 erschien es in Yamadas japanischem Verlag Imagine Games als „Edo Craftsman Story“, 2015 dann als „Iki“ bei Utsuroi. 2021 gönnte der französische Verlag Sorry we are French dem Spiel neue Illustrationen – in dieser Fassung ist „Iki“ bei Giant Roc nun auch auf Deutsch erschienen. Auf den verschlungenen, manchmal vielleicht langen Weg in Richtung Iki haben sich auch unsere Jurymitglieder in ihren jeweiligen Medien begeben.

„13 Monatsrunden lang versuchen wir als Oyakata, als Aufseher, unser Glück in dem quirligen Stadtteil des alten Edo (dem heutigen Tokyo), das einer ganzen Epoche ihren Namen gab“, erklärt Maren Hoffmann das Spiel. „Wir werben Händler und andere Gewerbetreibende an, weisen ihnen Stände und einen unserer vier Assistenten zu und versuchen, auf unserem Rundgang über den Plan das eine oder andere klarzumachen: wir kaufen Sandalen für mehr Reichweite, nehmen Geld und Gold ein, sammeln Holz und Reis, damit wir etwas zum Bauen und unsere Leute etwas zu essen haben. Vielleicht schaffen wir es sogar, ein Kabuki-Theater oder die Kaiserliche Villa zu errichten, oder ergattern zumindest wertvolle Fische, Pfeifen und Tabak.“ Regelmäßig ausbrechende Feuersbrünste bringen Ärger, der Zahltag wiederum Geld. „Die Schlusswertung belohnt Berufsvielfalt, gesammelte Plättchen und Gebäude“, schreibt Hoffmann.

Hoffmann ist begeistert von „Iki“. Es gehe „über einen multioptimierenden Workerplacer hinaus“, der Autor Yarnada erweise sich durch Verweise auf die Edo-Zeit und Iki als „Tiefthementaucher“, was auch der Neugestaltung des Spiels zuzuschreiben sei. „Es gibt starke Glückskomponenten, aber man ist ihnen nie völlig ausgeliefert, sondern kann vorsorgen – und den Grad des eigenen Risikos selbst austarieren. Man kann hoch pokern oder konservativ Vermögensbildung betreiben“, schreibt sie. „In der Planungsphase sind wir alle so tief versunken, dass man am Tisch nur ab und an einen Laut hört, der als ‚Iki- Seufzer‘ in unser gemeinsames Vokabular eingegangen ist: Ein Laut der Ohnmacht angesichts der Widrigkeiten, die erst bei der Feinplanung sichtbar werden. Ein Laut, der die Diskrepanz zwischen Sein und Sollen artikuliert, für die sich schwer adäquate Worte finden lassen und die man ja im kompetitiven Kontext auch gar nicht allzu offenherzig kommunizieren möchte.“
Hoffmann findet, das Spiel „Iki“ halte, was der Titel verspricht: „Das Konzept Iki, unübersetzbar, wie es ist, scheint mir einige Verwandtschaft damit zu beinhalten: Die Eleganz der Mechaniken, gute Umgangsformen, der Mut zum Risiko und die würdevolle Kunst des resignativen Sichfügens, ohne je aufzugeben.“¹

Ebenso gefallen Manuel Fritsch verschiedene Aspekte des Spiels; als allererstes, dass die eigenen Gebäude allen Spieler:innen zur Verfügung stehen. „Hier kann ich überlegen: Was braucht ihr denn?“, sagt er. „Wenn ihr Gebäude bauen wollt, lege ich euch vielleicht einen Händler hin, den ihr braucht, ich steigere damit meine Erfahrung, weil ihr den ständig nutzt. Ich gebe euch einen Vorteil, aber ihr gebt mir auch einen Vorteil.“ Auch gefällt ihm die ungewöhnliche Art der Fortbewegung: Wer am weitesten Laufen möchte, kommt als letzter dran. Zwar müsse man in diesen Mechanismus erst einmal „hereinkommen“. „Das ist jedes Mal ein Abwägen und ein Kämpfen im Kopf. Einerseits möchte ich zu diesem einen Händler, andererseits möchte ich unbedingt als erster dran sein“, sagt Fritsch. „Diese Mechanik macht es sehr reizvoll.“ Als drittes gefällt Fritsch, dass in „Iki“ viel voneinander abhängt: „Das gefällt mir sehr gut, dass die Mechaniken auf den Karten, auf den Händlern, teilweise superstarke Combos ergeben“, sagt er. „Solche Sachen kannst du hier provozieren, und das sind auch Sachen, die du entdeckst.“Insgesamt gefällt Fritsch das Spiel sehr gut. Alle Mechaniken seien „im Fluss“, meint er, „alle Mechaniken habe ihre Berechtigung, weil es im Gesamten so ein schönes, rundes Bild gibt.“ Auch den geänderten Spielmodus für zwei Spieler:innen hebt Fritsch als gelungen hervor, und schließt: „Aktuell eines meiner Lieblingsspiele.“²

Auch Nico Wagner findet die Schrittmechanik interessant: „Das finde ich sehr spannend, zu überlegen: Wo könnten sich die anderen hinsetzen, wie hole ich das Beste für mich raus?“ Auch interessant findet er, dass die Händler mit zunehmender Erfahrung in Rente gehen können – sie sind nicht mehr auf dem Brett, generieren aber nach wie vor Einkommen. Dadurch, dass es mehr Punkte für gleichfarbige Händler gibt, sei diese Mechanik auch gut dafür geeignet, anderen „die Wertung kaputt zu schießen“. Ein Händler, der nicht mehr auf dem Brett liegt, fließe dort nicht mehr ein. Wagner sieht einen „klassischen Mix“ aus Mechaniken. „Diesen Mix finde ich wirklich sehr reizvoll“, sagt er.
Klar müsse aber sein: „Iki“ sei ein absolutes „Mangelspiel“, sagt er. „Das ist aber auch etwas, was einem eine schöne Lernkurve beschert. Man wird besser im Managen der Ressourcen.“ Timing sei bei „Iki“ elementar, gerade auch, was die regelmäßig ausbrechenden Feuer im Händlerviertel angeht, eine Mechanik, bei der er sich noch nicht so ganz sicher ist, ob sie ihm wirklich gefällt. Zwar könne man sich dagegen schützen. Dennoch könnten viele Karten „rausfliegen“ und Wertungen kaputt gehen. „Das ist schon wortwörtlich gesehen ein Spiel mit dem Feuer. Das kann schon ultra bestrafend sein, wenn dir da ein ganzer Laden abbrennt und deine ganzen Arbeiter sind dann weg.“ Am Ende aber findet er, das sei ein Element, „das eine schöne Würze reingibt“ und schließt: „Momentan eines meiner Kennerspielhighlights.“³

¹ Spielbox, Heft 6/22: Herrlich edoistisch
² Le Brett vom 7.11.22 (kostenpflichtig)
³ Brettagoge #201