Suche
Suche Menü

Kritikenrundschau: Bücher der Zeit – geordnetes Zeitenwenden

In interessanten Zeiten zu leben ist ja so eine Sache – vor allem, weil das ganze Zeiten-Chaos auch noch sortiert werden muss. Wie gut, dass es in „Bücher der Zeit“ (Filip Głowacz bei Giant Roc) praktische Aktenordner dafür gibt. Unsere Jurymitglieder haben sich in ihren jeweiligen Medien in die Archive begeben, um die Zeitenwenden fein säuberlich abzuheften. Und dabei vielleicht auch ein paar kritische Aktennotizen zu hinterlassen?

„Wir verwalten alle je drei dieser Ordnerchen, ein gelbes, ein grünes, ein rotes, fein sortiert nach Fachbereichen: Handel, Wissenschaft und Industrie“, schreibt Maren Hoffmann. „Im Spiel ist diese Zuordnung aber völlig ohne Belang. Wer Thema braucht, wird nicht am Tisch bedient, sondern muss es sich selbst aus dem Hintergrundteil des Anleitungsheftes holen.
In unseren Ordern können wir Seiten mit jeweiligen geschichtlichen Errungenschaften abheften, klackklack. Das befriedigt Sammelwut, Ordnungsdrang und Planungsliebe gleichermaßen. Im Grunde geht es um Tableau-Bau (und letztlich natürlich um Siegpunkte) – nur dass in diesem Fall ein haptischer Aspekt hinzukommt, der Form und Inhalt in eine angenehme Kongruenz bringt“, beschreibt Hoffmann das Spiel. „Für jede eingeheftete Seite in unserer Buchhaltung werden wir mit einem kleinen Sofortbonus belohnt. Außerdem werden jede Runde weitere Goodies ausgeschüttet: Die Chronik (ok, ein weiteres Ringbüchlein) hält den Fortschritt der Partie fest – nach der letzten Seite ist Schluss. Das Ende der Partie wird fristgerecht durch einen Einleger angekündigt, der darauf aufmerksam macht, dass nun die letzten drei Seiten kommen. Jede in der Chronik neu aufgeschlagene Seite lässt uns die Wahl zwischen zwei Belohnungen, die allerdings nicht immer komplett gratis sind. Manche muss man bezahlen, für andere bestimmte Voraussetzungen erfüllen.“

Voll des Lobes ist Maren Hoffmann zunächst für das Material: Es sei „klar strukturiert, intuitiv verständlich und erfreulich stabil“. Und: „Auch nach etlichen Partien reißen die Lochungen nicht aus. Vorbildlich auch die Aktionsübersichtskarten und das kleine Papp-Pult für die zentrale Chronik.“ Für Hoffmann ist „Bücher der Zeit“ ein Spiel, das gute Planung und Ressourcenverwaltung erfordert, dabei gleichzeitig aber viele Möglichkeiten biete. „Es gefällt mir ausnehmend gut, dass ‚Bücher der Zeit‘ elegant viele Mechanismen verwendet, ohne dass es allzu kompliziert wird: Wir müssen in unseren Büchern Sets sammeln, mit besonders wertvollen Seiten unsere Engine aufbauen, zuweilen auf die richtige Reihenfolge der Seiten achten, aber durch die sechs verschiedenen Aktionsmöglichkeiten ist nichts davon alternativlos“, schreibt sie. „Das macht Lust, verschiedene Strategien auszuprobieren; und das Überraschungsmoment der Chronik-Goodies zwingt uns zu verwaltungsuntypischer Flexibilität.“ Dazu käme eine „kleine Asymmetrie, die durch die verschiedenen Sets an Meilensteinen entsteht: Jeder und jede hat eigene Ziele im Visier – und kann sie sich siegpunktträchtig hoher stecken, wenn er oder sie auf gutem Wege ist“. Hoffmann hat Spaß an den „kleinen, buchhalterischen Freuden“, die die „Bücher der Zeit“ bieten.¹

Julia Zerlik und Christoph Schlewinski haben sich zu zweit an die Buchhaltung der Zeit gemacht. „Es ist nichts für Spieler, die ein Problem mit zu vielen Optionen haben“, sagt Julia Zerlik. Hier lohne es sich, vieles im Voraus zu planen, bei einer schier unendlichen Auswahl an Möglichkeiten. Das kann bei manchen Spielern Analyse-Paralyse auslösen, weil die Optionen an Dingen, die du tun kannst, enorm sind.“ Dadurch wiederum könne viel Wartezeit entstehen. Entsprechend findet sie, „Bücher der Zeit“ gewinne nicht durch mehr Spieler:innen: „Mir gefällt es zu zweit fast am besten“, sagt Zerlik. Ihr sagt auch das Material zu, „es ist mal was anderes, es ist stimmig“, begründet sie. Am Ende lautet Zerliks Urteil: „Das ist meine Art von Spiel, und toll umgesetzt.“
Ganz besonders gefällt Christoph Schlewinski an „Bücher der Zeit“ die Aktionsübersichtskarte. „Ich war nach der ersten Runde sehr angetan, und das hat sich bis jetzt gehalten“, sagt er. Anfangs meine man, man habe „so einen Brocken“ auf dem Tisch. Dem sei aber nicht so, was zu einem großen Teil an der Übersichtskarte läge. „Die Symbolik ist wahnsinnig klar“, sagt Schlewinski. „Deswegen habe ich das Spiel auch schon Leuten zugetraut, die vor sowas normalerweise wegrennen.“ Dass „Bücher der Zeit“ viele Möglichkeiten biete, sieht er auch. Deswegen sei die angegebene Spielezeit von 45 bis 60 Minuten allerhöchstens zu zweit einzuhalten. „Das dauert dann vielleicht 80 Minuten, aber das ist für so ein Spiel auch nicht zu viel“, sagt Schlewinski. Insgesamt beurteilt er das Spiel „super, weil die Idee frisch ist, weil das alles schön offen ist und weil man durch dieses Einheften ein ganz anderes Handling hat“.²

„Die Übersicht hilft einem wirklich“, findet auch Michaela Poignée. Ebenso lobt sie die klar geschriebene Anleitung, die zusätzlich noch viele Hintergrundinformationen biete. Allerdings sei die auf der Packung angegebene Spieldauer von 45 bis 60 Minuten nicht realistisch. Das Spielthema gefällt ihr: „Wir haben Stift und Papier als Ressourcen, wir könnten Seiten schreiben, wir können Umblättern.“ Eher kritisch sieht sie die wenigen Interaktionsmöglichkeiten: „Interaktion ist nur insofern gegeben, dass einem dauernd Seiten aus der Auslage geklaut werden.“ Das passiere aber eher unabsichtlich. Insgesamt bewertet Poignée „Bücher der Zeit“ aber positiv. Durch die vielen verschiedenen Aktionsmöglichkeiten sowie die unterschiedlichen Ziele ergebe sich für sie ein hoher Wiederspielreiz. Und das Spielmaterial sei „haptisch total klasse“.³

„Das eigentliche Spiel bietet wenig neues“, findet Tobias Franke. „Wir versuchen unsere Aktionen zu optimieren, um dann am Ende über hochwertige Sets viele Punkte zu erreichen. Ganz oft tauschen wir dabei Ressourcen in andere, nur um damit dann neue Seiten in unsere Bücher einbauen zu können. Insgesamt fehlt mir dabei ein wenig der Deckbau-Aspekt, den ich mir eigentlich von der Mechanik erhofft hatte.“ Auch in seinen Runden wird die angegebene Spielzeit regelmäßig überschritten. „Im 4 Personenspiel schaue ich aber größtenteils den anderen beim Denken zu, was selten interessant ist. Aus diesem Grund würde ich in ‚Bücher der Zeit‘ in Zukunft nur noch maximal zu dritt spielen, am besten gefällt es mir als 2-Personen-Spiel“, schreibt Franke. „Dementsprechend überrascht es nicht, dass dem Spiel noch eine ausführliche Solo-Kampagne beiliegt. Ohnehin ist ‚Bücher der Zeit‘ ein weiterer Vertreter der weit verbreiteten Multi-Player-Solitär-Spiele – was ich wertfrei verstanden wissen will.“ Auch Franke gefällt die Aktionsübersicht sowie die Aufgabe, die ihm das Spiel stellt. „Für Abwechslung sorgt übrigens auch die zufällig zusammengestellte Chronik, bei der auch nicht immer alle möglichen Seiten für eine Partie benutzt werden“, schreibt er. „Dieses verspielte Element hat ohnehin mein Herz gewonnen! Es ist ein schöner Einstieg in die aktuelle Runde, eine Seite darin umblättern zu dürfen. Sofort springt dann die Optimierungsmaschine in meinem Kopf an, um die dortigen Möglichkeiten perfekt in meinen kommenden Spielzug zu integrieren.“
„Top“ findet Franke die Ausstattung des Spiels: „Die kleinen Akten-Ordner erfüllen perfekt ihren Zweck, auch wenn wir vorsichtig im Gebrauch sein sollten – all zu schnell sind mal die Fingerkuppen eingeklemmt. Aufgrund des unverbrauchten Themas und der unterstützenden Gestaltung haben wir dabei glücklicherweise auch nicht das Gefühl, in einer Amtsstube zu sitzen und Akten abzuarbeiten.“ Lobenswert findet er die redaktionelle Auswahl der vorgestellten Personen und Ereignisse. Diese vermeide einen „einen allzu westlichen und männerdominierten Blick“. Am Ende bleibt für Franke jedoch „das schale Gefühl, dass nicht alle Potenziale vollständig genutzt wurden. Statt auf eine clevere Seiten-Abfolge in den Büchern setzen zu müssen, sind wir bestrebt, mit purer Masse erfolgreich zu sein.“

¹ Spielbox 7/23: Verbuchte Erfolge
² Spiel doch mal…: Frisch vom Tisch Vol. 60
³ Die Brettspieltester: Bücher der Zeit
Fjelfras.de: Kritisch gespielt: Bücher der Zeit