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Kritikenrundschau: The Same Game – das Ding an sich

Mit den Dingen ist es ja so eine Sache: Manchmal sind sie nicht, was sie scheinen; manchmal scheinen sie zu sein, was sie sind – und sobald man mit Philosophie oder Quantenmechanik anfängt, läuft sowieso alles völlig aus dem Ruder und man kann froh sein, wenn der Tisch, an dem man sitzt, überhaupt noch ein Tisch ist. „The Same Game“ (Wolfgang Warsch bei Edition Spielwiese und Pegasus Spiele) sucht das Wesen der Dinge in dem, was sie nicht sind. Unsere Jurymitglieder haben sich auf der Agora der Spielkritik getroffen, um über die Philosophie des Partyspiels und das Ding an sich zu debattieren.

„Wir ordnen die Welt“, erklärt Udo Bartsch das Spiel: „15 verschiedene Kategorien gibt es. Leichtere lauten ‚Länge‘ oder ‚Preis‘, komplexere sind ‚Verwendungsdauer‘ oder ‚Erkläraufwand‘. Abhängig vom gewählten Schwierigkeitsgrad stehen sechs bis neun davon zur Debatte, die Zusammensetzung ist in jeder Partie etwas anders. Alle am Tisch bekommen geheim eine der Kategorien zugelost, mehrere Personen können auch dieselbe haben. Und alle ziehen eine Objektkarte, auf der ein Begriff wie beispielsweise ‚Aquarium‘, ‚Ganzkörperspiegel‘ oder ‚Heißluftballon‘ steht. Nehmen wir an, ich ziehe ‚Pizzaroller‘. Meine Aufgabe ist nun, mir ein weiteres Objekt auszudenken, das sich in allen ausliegenden Kategorien möglichst deutlich von einem Pizzaroller unterscheidet, in der einen mir zugelosten Kategorie – sagen wir, es sei ‚Bewegung‘ – jedoch nicht. Meine Mitspielenden sollen diese Kategorie erraten“, schreibt Bartsch.

„‚The Same Game‘ kreiert zuverlässig tiefschürfende philosophische Diskurse, die zugleich feinsten Nonsens zelebrieren. Voller Leidenschaft wird minutenlang argumentiert und abgewogen, ob der Erkläraufwand der Bedienung eines Weckers größer oder kleiner sei als der eines Jagdgewehrs. Ob Wasserwaagen oder Winkel wichtiger für die Menschheit sind. Ob Zahnimplantate weltweit häufiger vorkommen als Kletterseile.“ Das geschehe in einem „Debattierclub auf Augenhöhe“, findet Bartsch – es ginge weder um Fachwissen noch um feststehende Antworten. „‚The Same Game‘ wirft Fragen auf, die wir uns nie zuvor gestellt hatten. Es inspiriert uns zu Gedanken, die wir nie zuvor gedacht haben. Wir dringen in neue Erkenntniswelten vor. Was also sollte ‚The Same Game‘ sein, wenn nicht Philosophie?“ Gleichzeitig sei es aber auch ein Partyspiel. „Es ist Haarspalten um des Haarspaltens willen, Denken um des Denkens willen, Blödeln um des Blödelns willen. Spielen um des Spielens willen“, so Bartsch.¹

„Normalerweise sind Spiele gut, die einfach zu erklären und schwer zu bewältigen sind. Hier ist es andersrum: Das Spiel zu erklären ist extrem schwierig“, sagt Julia Zerlik. Wenn man es allerdings erst einmal verstanden hat, sei es „ein tolles Spiel und eine tolle Idee“. Zerlik mache es „Spaß, die Hütchen hochzuheben und zu hoffen“. Dadurch ergäben sich regelmäßig Spannungsmomente. Auch die enthaltenen Begriffe findet Zerlik gut gewählt, „weil sie nicht so einfach sind“, meint sie. „Es ist teilweise herausfordernd, je nachdem, welche Kombination man bekommen hat.“ So sei es in ihren Runden durchaus zu Partien gekommen, in denen die Runde verloren habe. „Aber wir hatten trotzdem Spaß“, sagt Julia Zerlik. Punkte seien da aber in den Hintergrund gerückt, weil das Raten so viel Spaß gemacht hat. „The Same Game“, findet sie, sei ein „ganz tolles Spiel, wenn man mal diese Regeln durchdrungen hat“.²

Geraten werde in „The Same Game“ mit Freude, beobachtet Harald Schrapers in seinen Runden. Zwar findet er das Spiel etwas „‚überproduziert‘, aber die Anleihe ans Hütchenspiel störe auch nicht. „Das Spielbrett, auf der eine einfache Punktewertung stattfindet, ist klug gestaltet.“ Überraschend findet Schrapers die neue Herangehensweise von „The Same Game“, die sich von anderen kooperativen Wortratespielen abhebe. „Das sorgt am Tisch für eine lebendige Stimmung, es wird debattiert, widersprochen, vermutet. Selbst Leute, die eigentlich gar nicht mitspielen, mischen sich ein“, urteilt er.³

„Die erste Phase des Spiels, in der sich jeder sein Pärchen überlegt, die kann sich manchmal ganz schön ziehen“, findet Nico Wagner in einer Kurzbesprechung. „Aber wenns dann losgeht, finde ich, entstehen da richtig gute Dinge.“ Die sind für Wagner vor allem die „witzigen und interessanten Metadiskussionen“, die das Spiel provoziert. Häufig sei es allerdings nicht einfach zu lösen: „Wenn du komplexere Kategorien drin hast, ist es oft nicht eindeutig“, sagt Wagner. „Es hängt stark davon ab, was ausliegt.“

Stephan Kessler fühlt sich von „The Same Game“ zu einem „kreativen Denkprozess“ angeregt. „Und zwar nicht nur bei der tippgebenden Person, sondern auch bei der Gruppe. Wie denkt mein Gegenüber über Staffeleien? Ist eine Armbrust wichtiger für die Menschheit als eine Bohrmaschine? Und wie sieht es beim Verwendungszweck aus – beides produziert Löcher in der Wand! Die daraus resultierenden herrlich absurden Diskussionen sind das Herzstück des Spiels“, schreibt Kessler. Gut gefallen ihm „die kurzen emotionalen Schockmomente, wenn der Becher das Geheimnis lüftet. Da wird es für Sekundenbruchteile ganz still am Tisch, nur um sich dann erleichtert zu bestätigen oder verwundert den bis dahin stillen Tippgeber fragend anzublicken. Reines Gimmick sind diese Becher wirklich nicht“. Allein die Grafik auf der Spieleschachtel findet Kessler überfrachtet. Ansonsten aber urteilt er: Das Spiel „verbindet geschickt kreative Prozesse mit absurden Diskussionen. Sind die Verbindungen jedoch zu eindeutig, dann kann das Spiel nicht zeigen, was es kann. Und man darf nicht unterschätzen, dass das Konzept oft schwierig zu verstehen ist. Nimmt man diese Hürde, wird man mit einem tollen Gruppenerlebnis belohnt. ‚The Same Game‘ ist trotz seines Namens nicht wie jedes andere Spiel, sondern durchaus besonders!“

Johanna France sieht in „The Same Game“ ein „super spannendes Spielkonzept. Ich habe in wenigen Spielen so lustige und so tiefgründige Diskussionen gehabt.“ Es gehe tief hinein „in die Essenz von Gegenständen“. Diese Diskussionen machen sie „wirklich glücklich“, sagt sie. Zu Bedenken gibt sie allerdings, dass das Spiel nicht für jeden und jede etwas sei. Denn es gebe Personen, die den Druck, sich jetzt einen guten Begriff zu überlegen, als unangenehm empfinden. Sie selbst findet „The Same Game“ „großartig“, es sei aber nichts, „wenn man sich mit dieser Art von Kreativität schwertut“.

Für Manuel Fritsch ist „The Same Game“ „ein Partyspiel im weitesten Sinne, vielleicht eher ein Kommunikationsspiel“. Auch er findet, dass das Spiel schwer zu erklären sei, „das könnte auch eine Hürde sein“. Aber: „Wenn man einmal drin ist, hat es eine sehr große Faszination.“ Die Punkte spielen für ihn eine untergeordnete Rolle, „denn die meiste Energie steckt man in diesem Spiel in die Wortfindung“. Das Besondere des Spiels zeigt sich für ihn zwischen den Spielerunden: „Als derjenige, der was aufgeschrieben hat, die Runde dabei zu beobachten, wie sie diskutiert“, ist für ihn der größte Spaß. „Das sind Diskussionen, die hättest du ohne ‚The Same Game‘ nie geführt.“ Für Fritsch ist es „ein Wortspiel für Leute, die Bock haben auf etwas komplexere Partyspiele“.

Auch im Spiel-des-Jahres-Podcast „Das spielerische Quartett“ war „The Same Game“ Thema. „Da fängt der graue Klumpen im Kopf an zu rattern“, sagt Christoph Schlewinski dort. „Das finde ich ganz beeindruckend an dem Spiel.“ Für Michaela Poignée wird das Spiel „nach hinten raus richtig schwer“. Und Karsten Grosser hebt die „Absurdität“ der entstehenden Diskussionen als „sehr lustig“ hervor.

¹ Spielbox 7/23: Jacke wie Hose
² Spiel doch mal…: The Same Game
³ gamesweplay.de: The Same Game
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