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Spiel des Jahres 1994: MANHATTAN

Spiel des Jahres 1994: Manhattan von Andreas Seyfarth

Türme zu errichten, entspricht einem Urbedürfnis des Menschen, wie sich am frühkindlichen Stapeln von Bauklötzen immer wieder beobachten lässt. Dieses Bedürfnis in einem dramatischen Wettbewerb auszuleben, ermöglicht MANHATTAN Spielern jeden Alters und Geschlechts mit einfachen Mitteln und Regeln.

Als Baulöwe verfügt jeder Teilnehmer über einen eigenen Vorrat an Bauteilen mit ein bis vier Stockwerken Höhe. Sechs davon gilt es, zu Beginn einer Runde nach eigenen Vorstellungen auszuwählen. Auch die Wahl des Baugebiets steht in jedem Zug frei. Auf welcher Parzelle dort gebaut werden darf, hängt dagegen von der jeweils ausgespielten Karte ab. Außerdem will natürlich die Bauordnung eingehalten werden. Diese erlaubt stets das Bauen auf freien Plätzen oder auf Türmen mit einem Stockwerk der eigenen Farbe an der Spitze. Wer dagegen einen fremden Turm erweitern und damit übernehmen möchte, muss auf insgesamt mindestens genauso viele Stockwerke kommen wie dessen bisheriger Besitzer.

Sobald alle sechs Bauteile verbraucht sind, kommt es zu einer Zwischenwertung. Punkte bringen nicht nur die Türme selbst, sondern auch Mehrheiten in den Gebieten und der jeweils höchste Turm eines Gebiets. Danach geht der Bauboom mit sechs neuen Steinen in die nächste Runde. Da freier Baugrund immer knapper wird, wandelt sich das anfangs noch weitgehend friedliche Nebeneinander jetzt schnell zu einem intensiven Häuserkampf. Wenn am Schluss der vierten Runde alles Material verbaut ist, zeigt sich, wer auf der Zählleiste endgültig die Nase vorn hat.

Die Gründe

MANHATTAN verfügt über alle Attribute, die ein „Spiel des Jahres“ auszeichnen. Es ist originell und von hohem Aufforderungscharakter. Mit einem schlanken, leicht verständlichen Regelwerk zieht es selbst reine Gelegenheitsspieler sofort ins Geschehen. Es garantiert ein hohes Maß an Interaktion und eröffnet den Teilnehmern viel Handlungsspielraum.

Je nach Naturell kann der Eine mehr die direkte Konfrontation suchen, während ein Anderer es situationsbedingt vorziehen mag, sich halbwegs sichere Refugien zu schaffen. Eine angemessene Dosis Kartenglück sorgt für die erforderliche Würze und verhindert ein Abgleiten in eine die Zielgruppe verprellende Denkorgie. Durch die Zwischenwertungen ergeben sich mehrere kleine Spannungsbögen, wobei zumeist jeder Akteur bis zuletzt eine Chance auf den Sieg behält.

Während das Schachtelcover von explosiver Dynamik kündet, sind Spielplan und -karten eher nüchtern gehalten. Ein auffälliger Kontrast, der aber der jeweiligen Funktion geschuldet ist und nicht etwa als Stilbruch zu beanstanden gewesen wäre.

Der Autor

Andreas Seyfarth (Bild: Edwin Ruschitzka, Spielbox)

Als Postamtmann war Andreas Seyfarth schon von Berufs wegen bestens bekannt, wo die Post abgeht. Nach drei Auftragsarbeiten für Merchandising-Spiele hat er dies mit MANHATTAN dann auch auf dem Gebiet der Spiele eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dabei war ihm die Idee, auf dem Spielplan die Viertel einer Stadt zu entwickeln, schon gegen Ende seiner Schulzeit gekommen. Als ihm Verlagsinhaber Bernd Brunnhofer davon erzählte, ein Bauspiel auflegen zu wollen, machte er sich daran, das Spielgeschehen nicht länger aufs Geldverdienen auszurichten, sondern aufs  Hochziehen von Häusern. Gleich die erste Fassung, die bereits den Arbeitstitel MANHATTAN trug, fand aufgrund ihrer Dreidimensionalität und ihres einfachen Ablaufs großen Anklang im Verlag, sodass man sich an die übliche Feinarbeit machen konnte.

Der Verlag

Für den gebürtigen Österreicher Bernd Brunnhofer war es nach DRUNTER & DRÜBER im Jahre 1991 innerhalb kurzer Zeit bereits das zweite Mal, dass ihm mit seinem Münchener Kleinverlag Hans im Glück der Sprung aufs Siegertreppchen gelungen ist. Wie zuvor hatte ihn sein feines Näschen für das spielerische Potential eines Prototypen nicht getrogen. Und auch diesmal wieder sollte sich dessen intensive redaktionelle Bearbeitung gelohnt haben.

Der Spielejahrgang

Mit insgesamt nur sieben Spielen war die Nominierungsliste um eine Nennung kürzer als die ohnehin schon vergleichsweise knapp gehaltene Liste im Vorjahr. Wie Originalität und hoher Wiederspielwert dieser Spiele zeigen, beruhte dies jedoch nicht auf geringerer Qualität dieses Jahrgangs als vielmehr darauf, dass sich die Voten der Jurymitglieder auf entsprechend weniger Spiele konzentriert hatten. In numerischer bzw. alphabetischer Folge ergab sich folgendes Bild.

Das Kartenspiel 6 NIMMT! von Wolfgang Kramer (Amigo) hat es auch nach Punkten auf einen hervorragenden 2. Platz hinter dem siegreichen MANHATTAN geschafft. So klein die Schachtel, so riesig sein Unterhaltungswert! Die 104 durchnummerierten Karten sind mit Minuspunkten gespickt. Von allen Teilnehmern zugleich verdeckt ausgespielte Karten kommen nach dem Aufdecken in aufsteigender Folge in die Reihe mit der geringsten Differenz zur jeweils letzten Karte. Wer das Pech hat, die sechste Karte anlegen zu müssen, kassiert getreu dem Titel die fünf davor mit all ihren Minuspunkten. Ist die Zahl dagegen so niedrig, dass sie in keine Reihe passt, darf der Ausspielende wählen, welche Rumpfreihe er an sich nimmt.

Zu einem ungewöhnlichen Wettrennen ohne Würfel oder Karten als Antriebsmittel lädt BILLABONG von Eric Solomon (franjos) ein. Jedes Team besteht aus fünf Kängurus, die eine Runde um ein Wasserloch drehen wollen. Während sie beim Laufen bloß ein Feld weit kommen, können sie im Halma-Stil springend weite Strecken zurücklegen. Für ein hohes Tempo sorgt, dass auch nicht unmittelbar benachbarte Artgenossen übersprungen werden dürfen, sofern das Landefeld genauso weit entfernt liegt und der Weg dorthin frei ist. Witzig ist die Option, das Schiedsrichter-Känguru, das zur Markierung auf das Ausgangsfeld gestellt wird, in die Sprungfolge einzubeziehen.

Noch verrückter ist der Wettlauf, den sich Alex Randolph und Leo Colovini für DIE OSTERINSEL (Blatz) haben einfallen lassen. Dieser soll nämlich von den dort am Strand aufgestellten riesigen Steinfiguren ausgetragen werden, wobei als Antriebsmittel dienen Steine. Will man die eigene Statue entsprechend der gerade gewählten Steinkarte bewegen, muss die entsprechende Zahl Steine an Statuen der Konkurrenz verfüttert werden. Sollen sich dagegen der eigene Statue daran laben, muss man fremde Statuen insgesamt so viele Schritte vorrücken. Unter diesen Bedingungen kann es natürlich nicht genügen, als Erster ins Ziel gegangen zu sein. Wenn der Zweiplatzierte mehr Gewicht gemacht hat, ist er der Sieger.

Zum nur spärlich besetzten Genre der Verhandlungsspiele gehört KOHLE, KIES & KNETE von Sid Sackson (Schmidt Spiele). Bis zu sechs Investoren feilschen darum, an den wechselnden Geschäften beteiligt zu werden. Voraussetzung dafür ist stets, dass sie zu einem Clan gehören, der gerade für einen Abschluss in Frage kommt. Wenn die Argumente nicht ausreichen, hilft notfalls auch das Ausspielen einer passenden Einflusskarte. Damit lässt sich zum Beispiel ein Investor in den Urlaub schicken, sodass man selbst mit einer passenden Clan-Karte dessen Stelle einnehmen kann. Alle Beteiligten sind natürlich darauf aus, sich bei den turbulenten Verhandlungen mit ihren Angeboten ein besonders großes Stück vom Kuchen zu sichern.

Wer es gern vollkommen ruhig mag und auf Interaktion verzichten kann, ist beim Mehr-Personen-Solitär TAKE IT EASY von Peter Burley (F.X. Schmid) bestens aufgehoben. Alle Spieler verfügen über den gleichen Satz sechseckiger Plättchen mit drei sich kreuzenden Linien in neun Farben unterschiedlicher Wertigkeit. Welches sie davon jeweils auf ihrem Tableau unterbringen müssen, entscheidet der Zufall. Wenn sämtliche Felder belegt sind, bringen durchgehende Farbreihen Punkte, je länger, desto mehr. Obwohl jeder für sich an einer optimalen Lösung werkelt, kommt schnell Spannung auf, wer den willkürlichen Vorgaben durch kluges Risikomanagement am besten zu entsprechen vermag.

Sein originelles Kartenspiel WAS STICHT? hat Karl-Heinz Schmiel im Eigenverlag Moskito Spiele selbst herausgebracht. Außer dass die Stiche in der üblichen Weise gemacht werden, läuft alles andere vollkommen anders als gewohnt. So kann durchaus triumphieren, wer überhaupt keinen oder bloß genau den letzten Stich gemacht hat, sofern er sich dies zur Aufgabe für diese Runde gestellt hatte. Um dafür überhaupt eine realistische Chance zu bekommen, darf sich jeder seine Kartenhand aus der offenen Auslage selbst zusammenstellen. Freilich erfährt man erst dabei durch kluges Kombinieren aus den Hinweisen des Gebers, welche Farbe und welche Zahl denn überhaupt Trumpf sind.

Sonderpreis

Als Schönes Spiel ist DOCTOR FAUST von Reinhold Wittig ausgezeichnet worden. Ein feinsinniges Taktikspiel voll diabolischer Winkelzüge. Damit hat der Berliner Verlag Blatz wie schon im Vorjahr mit KULA KULA zu einer Vorlage desselben Autors erneut eine geradezu traumhaft stimmige Umsetzung des Themas geliefert. Holzschnittartige Szenen und Zitate aus Goethes Seelendrama zieren den Spielplan. Über den Rundkurs wandert Fausts Seele in Form einer Pyramide aus klarem Glas, gejagt von vier ebenfalls gläsernen Teufelssteinen in den beiden Spielerfarben.

Der Sonderpreis Kinderspiel ging an das aktionsgeladene LOOPING LOUIE von Masaru Aoki und Carol Wiseley (MB). Es fesselt nicht bloß die Kleinen, sondern vermag auch reine Erwachsenenrunden in seinen Bann zu schlagen. Herzstück der robusten Plastikkonstruktion ist ein langer Dreharm, der sich batteriegetrieben im Kreis bewegt. An seinem Enge hängt ein kleines Flugzeug, das im Tiefflug über die Scheunen der Spieler braust, wo deren Hühner hocken. Um diese davor zu schützen, heruntergestoßen zu werden, muss man genau im richtigen Augenblick auf eine Wippe schlagen, mittels deren das Flugzeug in die Höhe katapultiert wird. Doch damit ist die Gefahr noch nicht endgültig gebannt. Denn nach ein paar Loopings folgt im rasanten Sturzflug sogleich die nächste Attacke, die sich diesmal hoffentlich auf das Federvieh eines Nachbarn richtet.

Die weitere Entwicklung

MANHATTAN ist durchgehend im Programm des Herstellers geblieben, was für ungebrochenen Anklang spricht. 2017 verpasste ihm der koreanische Verlag Mandoo Games für eine eigene Ausgabe ein vollkommen neues Outfit aus der Feder der Kinderbuch-Illustratorin Jacqui Davis. Davon angetan hat der Hans im Glück Verlag die neue Version auch für den deutschen Markt übernommen. Spieltechnisch ist alles unverändert geblieben und lediglich eine Regelung für den Fall eines Gleichstands bei Ende der Partie hinzugefügt worden. Wer nach Abwechslung bei der Punktwertung mit daraus resultierenden Änderungen fürs Vorgehen sucht, findet im Online-Shop des Herstellers eine im Stil der Neuausgabe gehaltene Mini-Erweiterung.

Jochen Corts (April 2019)