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Spiel des Jahres 1993: Bluff von Richard Borg

Spiel des Jahres 1993: Bluff von Richard Borg


Entgegen dem ersten Anschein aufgrund von Aufmachung und Ausstattung ist BLUFF keinesfalls ein Würfelspiel – zumindest keines im herkömmlichen Sinne.

Jeder Teilnehmer erhält einen Becher und fünf Würfel mit 1 bis 5 Augen und einem Stern, der als Joker gilt. Alle würfeln gleichzeitig, schauen aber hinter verdeckter Hand so unter ihre Becher, daß niemand sonst die gewürfelten Augenzahlen sehen kann. Ein Spieler macht nun, indem er einen Anzeigewürfel auf der Zahlenskala platziert, eine Ansage, wie oft er eine bestimmte Zahl unter allen Bechern insgesamt vermutet. Glaubt ihm der Nächste, so muß dieser steigern und damit seinerseits dem folgenden Spieler eine entsprechende Wette anbieten. Entweder eine höhere Anzahl oder einen höheren Wert oder sogar beides. Möglich ist obendrein, allein auf die Sterne zu setzen, sofern nur der Anzeigewürfel dazu vorgerückt wird.

Wer dagegen aufgrund seines Wurfergebnisses unter Berücksichtigung der bisherigen Gebote die Ansage seines Vordermanns nicht glauben mag oder keine Chance mehr sieht, mit einem frechen Bluff bei seinem Hintermann durchzukommen, kann sich mit dem Kommando „Hoch die Becher!” Klarheit verschaffen.

Der Verlierer einer Wette muss so viele Würfel abgeben, wie die Differenz zwischen tatsächlicher Anzahl und angesagter Menge ergibt. Ein Gleichstand kostet dagegen alle Spieler einen Würfel, natürlich außer dem mit der korrekten Ansage. Verlorene Würfel kommen in die Spielplanmitte, damit jeder weiß, wieviele insgesamt noch im Spiel sind und die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit künftiger Ansagen ungefähr einschätzen kann. Die Partie gewinnt, wer als Einziger noch mindestens einen Würfel besitzt.

Die Gründe

Obwohl die Grundidee von BLUFF an ein Kneipenspiel erinnert, das viele als „Lügenmäxchen” oder „Meiern“ kennen, haben sich sieben der neun Jury-Mitglieder nicht gescheut, es auf Platz 1 zu setzen. Denn es läuft völlig anders ab und bietet viel mehr Möglichkeiten für höhere Gebote. Es werden eben nicht bloß zwei Würfel weitergereicht, sondern es muss das Ergebnis einer größeren Anzahl Würfel eingeschätzt werden. Dabei sorgen die Joker dafür, dass zugleich mehrere Werte in sonst gar nicht möglicher Höhe erreicht werden können.

BLUFF sorgt im Nu für prickelnde Spannung und eine Bombenstimmung. Mal zwingt das eigene Würfelergebnis zu verhaltenem Vorgehen, ein andermal erlaubt es forsche Sprünge, und stets besteht die Möglichkeit, nach Herzenslust zu zocken und dem Titel gemäß auch zu bluffen. In ihrer Einschätzung, dass es sich mit diesen Eigenschaften hervorragend als so genannter Türöffner eignet, mit dem sich auch reine Gelegenheitsspieler an den Tisch holen und dort fesseln lassen, kann sich die Jury durch den großen Anklang bestätigt sehen, der in Verkaufszahlen von weit über 300.000 Stück bereits im Erscheinungsjahr seinen eindrucksvollen Niederschlag gefunden hat.

Bernward Thole und als Laudator Jochen Corts. Bildquelle: Deutsches Spielearchiv Nürnberg

Der Autor

Der US-Amerikaner Richard Borg hatte bereits eine Reihe historischer Strategiespiele entwickelt, ehe er 1985 auf die Idee mit seinem DOUBTER’S DICE genannten Würfelspiel kam. Beflügelt von der positiven Resonanz im Freundes- und Bekanntenkreis entschloss er sich, es in einer Auflage von 1.000 Stück selbst zu produzieren und auf Messen im gesamten mittleren Westen zum Verkauf anzubieten. Drei Jahre später gelang es ihm, mit Milton Bradley (MB) einen bekannten Hersteller als Lizenznehmer zu gewinnen, der sein Spiel unter dem Titel LIAR’S DICE ins Programm nahm.

Der Verlag

Mit BLUFF hatte der inzwischen von den Ravensburgern übernommene Verlag F.X. Schmid innerhalb weniger Jahre zum dritten Mal ins Schwarze getroffen. Nach dem eher konventionellen Wirtschaftsspiel AUF ACHSE im Jahre 1987 und dem Geniestreich ADEL VERPFLICHTET im Jahre 1990 dieses Mal ein lupenreines Zockerspiel.

Der Spielejahrgang

Anders als in den beiden Vorjahren erachtete die Jury dieses Mal lediglich sieben weitere Neuerscheinungen für würdig, aufgrund von Originalität und hohem Unterhaltungswert dem Hauptpreisträger an die Seite gestellt zu werden. Alle zusammen waren vorab auf einer Nominierungsliste in alphabetischer Reihenfolge bekannt gegeben worden.

MODERN ART aus dem Hans im Glück-Verlag ist ein raffiniertes Auktionsspiel für anspruchsvolle Spieler. Sein Autor, Reiner Knizia, hat es verstanden, Spielthema und -ablauf so zu einer homogenen Einheit zu verschmelzen, daß tatsächlich Angebot und Nachfrage auf subtile Weise Kaufpreis und Vermögenszuwachs regulieren. Gemälde fünf verschiedener Künstler können zur Versteigerung kommen. Welche das sind und nach welchem Prinzip eine Versteigerung läuft, liegt im Ermessen des jeweiligen Anbieters. Mit eigenen Geboten kann dieser auch selbst den Preis in die Höhe treiben, läuft damit aber auch Gefahr, selbst zur Kasse gebeten zu werden.

Als taktisches Aktionsspiel lässt sich PUSHER von Werner Falkhoff (Theta Promotion) einordnen. Eine Partie dauert keine fünf Minuten, macht freilich so viel Spaß, daß man meist gleich ein halbes Dutzend am Stück spielt. Zwei, besser drei Teilnehmer bemühen sich, die jeweils 17 Kugeln ihrer Farbe auf den Mulden des Spielbretts unterzubringen. Sobald zwei Kugeln nebeneinander platziert werden, muß der Nächste eine dritte dazulegen. Der nachfolgende Spieler darf dann eine Kugel draufpacken und so das Kugeldreieck auseinander drücken, eben „pushen”. Kugeln, die dabei auf gleichfarbige Felder laufen, gehen wieder an ihren Besitzer zurück.

Das feinsinnige Positionsspiel QUARTO (Fun Connection) läßt dem Spielgourmet das Wasser im Munde zusammenlaufen. Durch eine einfache Zusatzregel hat der Schweizer Autor Blaise Muller einem althergebrachten Spielprinzip neues Leben eingehaucht. Die beiden Kontrahenten versuchen, eine Reihe aus vier Steinen mit mindestens einem übereinstimmenden Merkmal zu bilden. Sei es, daß es sich um helle oder dunkle, große oder kleine, runde oder eckige Figuren oder solche mit oder ohne einem Loch auf der Oberfläche handelt. Der raffinierte Dreh liegt darin, daß einem der Gegner jeweils die Figur aussucht, die man dann aufs Spielbrett zu setzen hat.

An Vielspieler wendet sich RHEINGOLD von Reinhard Herbert (Jumbo), das auf direkte Konfrontation angelegt ist. Es geht um die Besetzung von Burgen entlang des Rheins. Für Spannung und immer wieder andere Abläufe sorgt dabei die Rekrutierung der Gefolgsleute, die höchst originell organisiert ist und einem nach dem Zufallsprinzip mal hier, mal dort neuen Zulauf verschafft. Wie man seine Anhänger zu größeren Einheiten sammelt und diese dann am effektivsten zum Einsatz bringt, das hängt dagegen allein vom taktischen Geschick und der strategischen Übersicht des Einzelnen ab.

Als taktisches Denkspiel von großem Tiefgang eignet sich Rudi Hoffmanns SPIEL DER TÜRME (Schmidt Spiele) eher für stille Runden. Denn um nicht hoffnungslos eingemauert zu werden, muß sich jeder Teilnehmer tief in den mit anfangs immerhin 80 Spielsteinen belegten Spielplan versenken. Jeder versucht, möglichst viele gegnerische Steine in Besitz zu nehmen und damit immer größer werdende Türme zu bauen. Ein ständiges Fressen und Gefressenwerden. Für die Schlussabrechnung zählen allerdings nur Türme, die auf entsprechend markierte Felder gezogen worden sind, sodass auch Habenichtse durchaus ihre Siegchance behalten.

Mit dem ungewöhnlichen Auflesespiel TUTANCHAMUN (Amigo) hat Reiner Knizia als einziger Autor einen zweiten Titel auf der Auswahlliste platzieren können. 70 Schatzkärtchen werden gemischt und zu einer Fährte ausgelegt. Wer an der Reihe ist, zieht mit seiner Figur beliebig weit vorwärts und nimmt den Schatz an sich, den er angesteuert hat. Es geht darum, von einzelnen Schatzarten die Mehrheit zu ergattern oder zumindest die zweitmeisten Stücke zu besitzen. Zur Belohnung rückt man nämlich mit seinem Zählstein entsprechend weit voran, um auf diese Weise als erster das Ziel zu erreichen.

Frischen Wind in den viele Jahre verstaubt gewesenen Bereich der Zahlenlegespiele bringt Manfred Schüling mit ZATRE (Peri). Eine Art mathematisches Kreuzworträtsel, das nicht mehr verlangt, als Zahlen von 1 bis 6 zusammenzuzählen, dabei allerdings taktisch geschickt vorzugehen. Mittels blind gezogener Spielsteine sollen waagerechte oder senkrechte Reihen mit der Summe 10, 11 oder 12 gebildet werden, um dafür Punkte zu kassieren. Besonders gewinnträchtig ist es, mehrere Reihen gleichzeitig zu bilden oder bestimmte Felder zu erreichen, die eine Verdopplung der Eintragungen einer Zeile auf dem Zählblatt erlauben.

Sonderpreis

Den „Sonderpreis Schönes Spiel“ hatte sich KULA KULA (Blatz Spiele) sichern können, ein typisches Familienspiel von Reinhold Wittig. Der Spielplan, der eine Seekarte der Salomon-Inseln zeigt, ist von geradezu atemberaubender Schönheit. Dazu die kleinen Holzboote, die mit geblähten Segeln ihre Bahn ziehen, sowie echte Schneckengehäuse als Sammelobjekte. Und wer genau hinschaut, wird in der Wolkenformation auf dem Cover das grimmige Gesicht einer Gottheit der Südsee ausmachen können.

Mit dem „Sonderpreis Kinderspiel“ wurde RINGEL RANGEL (Haba) ausgezeichnet. Dieses Geschicklichkeitsspiel von Geni Wyss weiß mit einfachen Regeln und einer überaus originellen Spielmechanik bereits Vierjährige anzusprechen, bereitet aber auch mitspielenden Erwachsenen einiges Vergnügen. Durch einen Garten voller Bälle werden nach und nach immer neue Schildkröten geschoben. Festmontierte, drehbare Äste erhöhen das Risiko, dass dabei Bälle oder andere Schildkröten hinausgedrängt werden, die man zu Strafe an sich nehmen muss. Da das gesamte Material aus Holz besteht, nimmt es auch bei häufigem Gebrauch keinen Schaden. Und im Regal Staub ansetzen wird dieses lustige Spiel bestimmt auch nicht.

Die weitere Entwicklung

Mit der Übernahme des Herstellers gelangte BLUFF 1997 zu den Ravensburgern, wo es sich bis jetzt im Programm hat behaupten können, was für seine anhaltende Beliebtheit spricht. Aus Anlass des 25. Jubiläums hat man ihm sogar eine Sonderausgabe in limitierter Auflage spendiert. Darin wird einer der fünf Würfel durch einen sog. Super-Würfel ersetzt, dessen Stern oder Augenzahlen doppelt zählen, was noch mehr Raum für Bluff und extreme Ergebnisse schafft.

Jochen Corts (April 2018)