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Spiel des Jahres 1982: Sagaland

Spiel des Jahres 1982: SAGALAND von Alex Randolph und Michel Matschoss

Von einem Dorf am Rande des Märchenwaldes ziehen die Teilnehmer aus, um unter den Bäumen nach Gegenständen aus 13 Märchen Ausschau zu halten. Zwei Würfel geben die Zugweite vor. Sobald ein Spieler den Gegenstand entdeckt hat, der gerade vom König gesucht wird, kann er zum Schloss eilen, um die Karte mit dem entsprechenden Motiv als Belohnung zu empfangen. Wer auf diese Weise als Erster drei Karten gesammelt hat, gewinnt die Partie und wird zum Thronfolger ernannt.

Bei 13 Verstecken braucht es meist eine ganze Weile, bis man endlich fündig wird. Auch dann hat man die Belohnung jedoch noch keinesfalls sicher, weil die Anderen versuchen werden, einen durch Hinauszuschmeißen abzufangen und ins Dorf zurückzuschicken, wenn sie den Braten gerochen haben. Außerdem darf ein Spieler, der einen Pasch wirft, die Karte mit dem gerade gesuchten Motiv „wegzaubern“, sodass nunmehr ein ganz anderer Gegenstand gefragt ist. Und dann ist gutes Erinnerungsvermögen vonnöten. Aber wo waren bloß die jetzt benötigten Stiefel des Katers oder die Federbetten der Frau Holle? Doch der Wald schweigt, und alle Bäume sehen gleich aus. Das darin liegende Memo-Element bringt natürlich Kindern einen Vorteil, die sich Details besser merken können als wir sogenannten Erwachsenen, die dafür aber ihr Vorgehen besser zu planen pflegen.

So wird unsereins versuchen, das Gelände systematisch abzugrasen und unter jeden Baum zu schauen. Andererseits kann es lohnen, das Schloss anzusteuern, obwohl man erst wenig mehr als die Hälfte der Gegenstände entdeckt hat und der aktuell gesuchte noch nicht einmal darunter ist. Denn vielleicht lässt sich ja ein Mitspieler dazu verleiten, das Suchmotiv auszutauschen und einem dadurch ungewollt mit mehr als 50%iger Wahrscheinlichkeit ein schon bekanntes Motiv zu liefern. Indem SAGALAND die Qualitäten eines würfelgesteuerten Laufspiels mit denen eines Merkspiels auf elegante Weise vereint, hat es sich als echtes Familienspiel erwiesen, das Jung und Alt gleichermaßen in seinen Zauberbann zu schlagen vermag. Zudem erlaubt sein minimales Regelwerk den sofortigen Einstieg in eine allen Teilnehmern vertraute Märchenwelt, wo das Glück zuletzt stets dem Tüchtigen hold ist.

Die Autoren

SAGALAND ist das Gemeinschaftsprodukt zweier Autoren, deren Œuvre unterschiedlicher kaum sein könnte. Einerseits der schon damals weltweit agierende Alex Randolph (1922 – 2004), der sich mit Spielen wie TWIXT, GEISTER und HOL’S DER GEIER unsterblich gemacht hat.

Andererseits Michel Matschoss, seinerzeit Verantwortlicher für das Spieleprogramm von 3M-Deutschland, wo auch TWIXT erschienen war. Von ihm ist nie zuvor und auch nie wieder danach auch nur ein einziges Spiel erschienen, obwohl noch manche interessante Idee dazu in seiner Schublade schlummert, ohne dass er bislang dem Versuch erlegen ist, in seiner Stellung als Geschäftsführer des deutschen Ablegers des von Alex Randolph mitgegründeten Verlags Winning Moves darauf zuzugreifen. Nachdem 1974 die Reihe der inzwischen legendären 3M-Spiele eingestellt worden war, machte ihm Alex Randolph den Vorschlag, doch gemeinsam ein Spiel zu entwickeln.

Was anfangs als bloßer Vorwand diente, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen, sollte 1978 tatsächlich Ernst werden, als Alex Randolph mitbekam, dass bei den Ravensburgern Bedarf für ein Märchenspiel bestand, und ihm einfiel, dass Michel Matschoss intimer Kenner Grimmscher Märchen war. Auf der Grundlage eines 15-seitigen Exposés mit dem Arbeitstitel „Der König will nicht mehr“ gingen die beiden im sogenannten Dornröschen-Schloss, der Sababurg bei Hannoversch Münden, in Klausur. Nach einer düsteren Regennacht schwebte ihnen am nächsten Morgen während des Frühstücks auf der Hotelterrasse die entscheidende Idee vom inzwischen blitzblauen Himmel, sich von der Vorstellung eines reinen Wettlaufs freizumachen und das Element des Sammelns hinzuzufügen. Ganze vier Wochen Feinarbeit brauchte es dann nur noch, bis der Prototyp im Winterurlaub in Oberstdorf getestet und anschließend den Ravensburgern präsentiert werden konnte. Nach einem Jahr Funkstille lag pünktlich zur Spielwarenmesse in Nürnberg 1981 endlich das fertige Produkt vor. Wenngleich beide Autoren mit dem Titel SAGALAND zunächst gar nicht so glücklich waren, ließen sie sich doch schnell durch die wunderschöne Grafik versöhnen. Die stammte aus dem Designstudio Büttner und Plümacher, wo man auch schon HASE UND IGEL, das erste Spiel des Jahres überhaupt, so stimmungsvoll gestaltet hatte.

Skizze des ersten Prototypen
(Bild: Matschoss)

Die Wahl 1982

Dass SAGALAND ein Jahr später zum Spiel des Jahres gekürt wurde, war für Michel Matschoss eine Riesenüberraschung, zumal er es selbst gar nicht so hoch eingeschätzt hatte. Auch die Jury hatte ja nicht auf Anhieb erkannt, welch Potential darin schlummerte, und es im Erscheinungsjahr bloß auf Platz 8 der damaligen Bestenliste gesetzt. Ein Schicksal, das es mit seinem Vorgänger FOCUS teilte. Was sich auch aus der seinerzeit ungleich geringeren Anzahl jährlicher Neuerscheinungen erklärt, die es erlaubte, auf im Vorjahr an sich schon berücksichtigte Titel zurückzugreifen. Bemerkenswerter Weise ließ sich die Jury auch nicht von der Überlegung beeindrucken, dass sich die Ravensburger im nächsten Jahr zu ihrem 100-jährigen Bestehen ganz besonders ins Zeug legen würden, was sie mit SCOTLAND YARD ja auch getan haben, und dass sie dann innerhalb von fünf Jahren bereits zum dritten Mal den Hauptpreis einheimsen könnten. Wozu es auch prompt gekommen ist, ohne dass dies der Glaubwürdigkeit der Jury und ihrem noch zarten Pflänzchen geschadet hat.

Der Spiele-Jahrgang

Mit HAVANNAH, einer Kreuzung aus HEX und GO von Christian Freeling, und dem zum Zocken einladenden MILLIONENSPIEL von Rüdiger Koltze vermochten die Ravensburger zusätzlich noch zwei Titel auf die Bestenliste zu hieven. CAN’T STOP von Sid Sackson, ein weiteres Zockerspiel, das im Vorjahr schon einmal dorthin gelangt war, konnte sich immerhin auf Platz 2 verbessern. Gefolgt von BAUBYLON, einer dreidimensionalen MALEFIZ-Variante von Reinhold Wittig. Wobei diese Rangfolge schon nicht mehr nach außen kommuniziert wurde, die Jury vielmehr stillschweigend zu einer alphabetischen Nennung übergegangen ist, um allen genannten Titeln Gleichwertigkeit zu bescheinigen. So wie ja auch kommentarlos der im ersten Jahr noch verwendete Begriff Ehrenliste hatte weichen müssen, weil er als zu pathetisch empfunden worden war.
Alex Randolph war es vergönnt, neben der Ehrung durch den Hauptpreis auch noch für sein exzellentes Bluffspiel GEISTER Anerkennung zu finden. Abgerundet wurde die Bestenliste durch das dem Mühle-Spiel verwandte KENSINGTON von Peter Forbes und Brian Taylor, FANG MICH!, ein flottes Wettrennen auf Memobasis von Oded Berman, das sich später unter dem Titel FANGEN bei den Ravensburgern wiederfinden sollte, sowie VOKABO, eine Art RUMMIKUB mit Buchstaben von Johann Rüttinger.

Bilanz

Wie berechtigt die Wahl von SAGALAND gewesen ist, sollte sich im Laufe der Jahre auch daran zeigen, dass es sich aufgrund konstant hoher Absatzzahlen mit inzwischen insgesamt rund drei Millionen Exemplaren bis zum heutigen Tag im Ravensburger Programm hat behaupten können – im Gegensatz zu HASE UND IGEL, dessen Lizenz vor einigen Jahren unverständlicher Weise nicht verlängert worden ist, was dem ambitionierten Kleinverlag Abacusspiele erlaubte, es dankend in sein Programm aufzunehmen. Wie sicher dagegen SAGALAND bei den Ravensburgern im Sattel sitzt, ist gerade dieser Tage daran deutlich geworden, dass es optisch geliftet deren neue Reihe „Unsere besten Familienspiele“ hat eröffnen dürfen.

Jochen Corts (Januar 2007)