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Empfehlungsliste Kennerspiel des Jahres: Council of Shadows

Wie leicht uns unsere Sinne doch täuschen! Deshalb ein für alle Mal: Nein, der September dehnt sich nicht am Ende ins Unendliche, auch wenn das Geld schon vorher wieder alle ist. Es sind immer exakt 30 Tage. Und nein, die letzten Schulstunden vor den Ferien dauern auch nicht länger als sonst. Es sind dieselben 45 Minuten. Und nein, der Weg, den wir bei „Council of Shadows“ (Martin Kallenborn und Jochen Scherer bei Alea) zurücklegen müssen, um in ein neues Level aufzusteigen, wird auch nicht länger und länger. Es sind immer … Moment mal, der Weg wird länger!

Beginnend bei lächerlichen 20 Schrittchen, die ich auf der Skala vorrücken muss, sind es, ehe mir das Drama in aller Konsequenz bewusst wird, 40 oder gar 50. Und bei den Mitspielern trotzdem nur 35. Wie geht das? – Tja, es hat mit Selbstbeschränkung und Prasserei zu tun. Je tollere Karten ich erwerbe und ausspiele, um mächtige Aktionen damit auszuführen, desto weiter entfernt sich meine Zielmarkierung für den nächsten Levelaufstieg. Und weil ich drei Level erklimmen muss, um zu gewinnen, und sich der vermaledeite Marker nur schwer dazu bewegen lässt, sich auch mal rückwärts zu bewegen, sollte ich es vielleicht mit etwas bescheideneren Karten und nicht ganz so pompösen Aktionen probieren.

Andererseits und das ist das Dilemma: Starke Aktionen bringen mich natürlich auch mehr voran. Das Levelziel mag sich entfernen, aber mein Zählstein nimmt auch schneller Fahrt auf. Es ist wie bei einer Investition: Zunächst hat man einen Haufen Schulden an der Backe, aber wenn die Sache ins Laufen kommt, zahlt man das locker wieder ab. Jetzt muss die Sache also nur noch ins Laufen kommen. Und leider laufen die Interessen der Mitspieler dem oft zuwider.

Wir sind im Weltall. Die Levelanstiege mehren unseren galaktischen Ruhm. Dem Berühmtesten winkt ein Platz im ominösen Rat der Schatten. Und die Partie gewinnt er auch. Mit unseren Aktionskarten erkunden und kolonisieren wir Planeten und bauen dort Rohstoffe ab. Sie sind Zahlungsmittel für alle möglichen Fortschritte und auch effizientere Aktionskarten.

Council of Shadows“ ist ein komplexes Spiel und erfordert langfristige Überlegungen. Ich muss immer drei Aktionen im Voraus planen und festlegen. Verwendete Aktionskarten rücken auf meinem Ablagetableau um eine Position weiter. Nur die vorderste bekomme ich zurück, die beiden anderen treten im Folgezug nochmals in Kraft – mitunter jedoch an einem anderen Ort.

Der Spielplan ist in drei Sektoren unterteilt: Erdnähe, weiter weg und ganz weit weg. Und wie man sich denken kann, sind die reichsten Planeten natürlich die fernsten. Die Fähigkeit, auch im hintersten Winkel, jottwede, zu agieren, muss ich zunächst mit Rohstoffen erkaufen. Und selbst dann gilt die Erlaubnis nicht pauschal für alle meine Aktionskarten, sondern erst mal nur für eine der Ablagepositionen. Und wenn die Karten am Ende des Zuges weiterrücken, was sie ja nun mal tun, geschieht es sehr leicht, dass man dieses wichtige Detail übersieht und irgendetwas plant, was am Ende gar nicht funktioniert.

Aber nicht die taktische Zugtüftelei ist das Herausragende an „Council of Shadows“. So etwas gab es schon anderswo und womöglich auch eleganter. Auch das Geschehen auf dem Brett – Klötzchen platzieren, Mehrheiten auf Planeten bilden, durch Dominanz Punkte gewinnen – ist herkömmlich. Das sind solide Elemente, die als tragendes Gerüst im Hintergrund stehen und das Glanzstück des Spiels umso heller erstrahlen lassen. Dieses nämlich: „Council of Shadows“ setzt einen Gegenpunkt zur rein kapitalistischen Denke, mit der sich die Menschheit so konsequent in die Klimakatastrophe manövriert hat.

Nicht das vordergründige Maximum, der für den Augenblick größte Nutzen ist das Beste. Sondern: Alles, was wir tun, bürdet Lasten für die Zukunft auf. Während das auf der Erde vor allem die nachfolgenden Generationen übel zu spüren bekommen werden, bin ich es in „Council of Shadows“ selbst, indem ich nicht nur einmal, sondern mehrfach ein weiteres Level erklimmen muss. Und wie schwer ich mir das mache, weil der Marker, der die erforderlichen Punkte anzeigt, sich entfernt, hängt von meinen Entscheidungen ab. Dieser Kniff bewirkt, bekannte Spielabläufe neu denken und bewerten zu müssen. Der Mechanismus ist derart stark und innovativ, dass er durchaus noch weitere Spiele tragen und zu einem Markenzeichen der Autoren Martin Kallenborn und Jochen Scherer werden könnte.

Udo Bartsch