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Der Spieleautor als Künstler: „Alex Randolph – Die Sonnenseite“

Wenn man noch einen Beweis braucht, dass Spieleautoren immer auch Künstler sind – und eigentlich sollte man ihn nicht brauchen – muss man nur in Richtung Alex Randolph schauen. Da der legendäre Spieleautor (unter anderem „Rüsselbande“, „Venice Connection“, „Gute Freunde“, „Inkognito“, „Geister“, „Sagaland“ und „Jago“) 2012 verstorben ist, muss man dafür nach Venedig. Auf der Toteninsel San Michele findet sich seine Grabplatte. Statt eine religiösen Symbols ist ganz oben eine Spielstellung aus „Twixt“ eingraviert, darunter steht auf französisch: „Hier ruht Alex Randolph, Erfinder von Twixt.“

Es ist der Grabstein eines Menschen, der sein Leben lang Spiele erfunden hat – wobei man vielleicht, jedenfalls wenn man „Die Sonnenseite“ gelesen hat, eher sagen müsste: Es sind die Spiele, die den Menschen erfunden haben.

Dabei ist „Die Sonnenseite“ keine Autobiographie – noch nicht einmal im herkömmlichen Sinn eine Biographie. Es sind Fragmente aus Gesprächen, die Randolphs enger Freund, der französische Holzspielehersteller Philippe Evrard über die letzten 15 Lebensjahre des Spieleerfinders hinweg aufgezeichnet und, von Randolph autorisiert, als Buch zusammengestellt hat. Aus den Fragmenten ergibt sich selbstverständlich kein durchgehender Lebensweg, keine Chronologie – es sind Gedanken, kleine Szenen, stellenweise einzelne Sätze, die ein wenig wie Aphorismen wirken: „Was alle Arten des Glück gemeinsam haben, ist die Lust zu singen.“ Dazu kommen zahlreiche Illustrationen, Prototypen, Zeichnungen, Fotos von den verschiedenen Lebensstationen Randolphs, und, von Evrard fast verschämt hinterher geschoben, ein Lebenslauf mit den wichtigsten Eckdaten.

Ideen aus der Luft

Was „Die Sonnenseite“ aber hauptsächlich leistet, ist das Bild eines Spieleautors als Künstler zu zeichnen, als Beobachter, als Flaneur, als einen, der sich seine Inspirationen von überall her fast schon aus der Luft greift; der Spiele erfindet, als seien sie schon immer da gewesen, als hätten sie nur darauf gewartet, in diesem Randolph sehr eigenen eleganten Minimalismus ausformuliert zu werden. „Was ich also vorschlage“, sagt Randolph in dem Buch, „ist ein wacher Zustand. Man muss nur wach leben, und ich bin sicher, dass jeder von uns es könnte.“ Denn ob es an der Universität von Chicago ist, während des Zweiten Weltkriegs in Nordafrika, während eines langen Aufenthaltes in Japan oder Venedig: Randolph ist wach, so wach, dass er von überall Ideen für Spiele mitbringt wie ein Maler Bilder mitbringen würde, oder ein Schriftsteller Geschichten: Als einer Kultur immanente Artefakte, die eigentlich nur noch eine Form brauchen. „Woher haben wir unsere Ideen?“ sagt Randolph in dem Buch, „Und ich antworte, auch nicht wirklich ernst: Aus der Luft! Was aber eigentlich stimmt.“ So erscheinen vor allem Randolphs abstrakte Spiele wie „Banda“ oder „Pan-Kai“ gar nicht so sehr wie erfunden, sondern vielmehr wie mitgenommen, biographisch unvermeidbar.

Erfindung des Spieleerfinders

Natürlich ist es in Biographien – wie auch immer sie gestaltet sind – meistens so, dass alle Lebensereignisse so arrangiert oder ausgewählt werden, dass das Leben, das beschrieben wird als konsequentes, einzig mögliches Leben der beschriebenen Person scheint. Vor allem wenn, wie in „Die Sonnenseite“ auch, eine kleine Portion Heldenverehrung dazu kommt. Dennoch ist das Buch ein Spaziergang durch die äußere und innere Welt des Menschen, der zumindest sich selbst als jemanden präsentieren möchte, für den, nach Versuchen als Schriftsteller, Spiele zu erfinden unvermeidbar und das einzig richtige war. Tatsächlich sogar eine Form von innerer Notwendigkeit, die umso größer erscheint, wenn man bedenkt, dass es den Beruf des Spieleautoren vor Randolph in dieser Form nicht gab. Es gehört schon eine besondere Form des Denkens dazu, in einem Wiener Schriftsteller- und Intellektuellenzirkel der 50er Jahre zu verkehren und mit mit dem Beruf des Spieleerfinders wieder herauszukommen – noch dazu, selbstverständlich, auf der Seite, die Randolph „Sonnenseite“ nennt. „Einige Jahre später“, sagt Randolph, „wurde mit klar, dass unter allen Dingen, die man auf der Sonnenseite wählen konnte, keines so rein, so elegant sein konnte als das, Spiele zu erfinden.“ Wobei die Schattenseite für Randolph ist, unter Zwang zu arbeiten, nur, weil es Geld bringt. Aber kein Glück.

Auf den Punkt

„Die Sonnenseite“ ist damit zwar eine Art von Künstlerbiographie – viel eher aber ein intensives Werkstattgespräch, das Randolphs Poetik, seine Einstellung zu Spielen, die auch seine Einstellung zum Leben ist, beleuchtet. Dazu gehören zwar auch biographische Details, wichtiger ist allerdings die Frage, wie sich diese Details – bewusst oder unbewusst – auf Randolph und damit seine Spiele ausgewirkt haben. „Die Sonnenseite“ leistet das; vor allem Dank Randolphs Fähigkeit, sich selbst und seine Umwelt genau zu betrachten und seine Gedanken, genau wie seine Spiele, ohne überflüssigen Ballast auf den Punkt zu bringen.

Jan Fischer

Philippe Evrard: Alex Randolph – Die Sonnenseite
Drei Hasen in der Abendsonne, Uehlfeld, 2012
144 Seiten, 19,90 €