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Spielen im Gefängnis: Abhängig vom sozialen Gefüge

Spielen mit Freunden, Spielen mit der Familie, Spiele mit Kindern, Spielen mit Schülern, Spielen mit … macht Spaß, aber manchmal fragt man sich, ob es da nicht noch mehr geben könnte (die Frage stelle ich jetzt natürlich nur in Bezug auf mögliche Spielepartner – dass es ansonsten mehr als nur Spielen gibt, ist mir schon bewusst – ich bin also noch kein Durch-und-durch-Freak). Als mir eine Freundin vor zwei Jahren erzählte, dass sich Gefängnisinsassen teilweise sehr langweilen, berührte das etwas in mir. Und da es in nicht allzu großer Entfernung zu meinem Arbeitsplatz eine Jugendstrafanstalt gibt, war die Idee geboren, mal nachzufragen, ob Interesse an Spielenachmittagen besteht.

Von Seiten der Anstaltsleitung bestand dieses Interesse durchaus, daher bewarb ich mich als ehrenamtliche Vollzugshelferin. Um diesen Status zu erlangen, muss man einige offizielle Stationen durchlaufen, was noch etwas Zeit in Anspruch nahm. Irgendwann war es aber so weit und ich durfte zum ersten Mal mit meiner Spieletasche die Gefängnispforten passieren. So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr, schließlich wusste ich überhaupt nicht, was mich erwartet. Denn dummerweise hatten sich nur zwei Gruppen gemeldet, die Interesse an meinem Spieleangebot hatten, und das waren leider die schweren Jungs. Zwar verfluchte ich mich in dem Moment für meinen eigenen Mut, da ich Zusagen aber nicht gerne zurückziehe, wollte ich wenigstens einmal hingehen und mich persönlich davon überzeugen, ob diese Häftlinge überhaupt Interesse an solch banalen Dingen wie Brettspielen hätten.

Am Tag X

Der Tag X zeigte, dass das Interesse durchaus gegeben war. Vor allem deshalb, weil die Häftlinge normalerweise nach ihrem Arbeits- bzw. Schulalltag in ihre Zellen wandern müssen. Gemeinsame Aktivitäten sind nur zu bestimmten Zeiten erlaubt, wenn ausreichende Aufsicht gewährleistet werden kann. Das gemeinsame Spielen bot den jungen Männern eine zusätzliche Gelegenheit, nicht alleine in der Zelle herumzusitzen. Etwas mulmig war mir daher schon vor der ersten Begegnung. Aber der erste Kontakt zeigte mir, dass sich die Häftlinge zumindest rein äußerlich nicht von meinen Schülern unterschieden – sie sahen alle sehr „normal“ aus.

Meine bunte Auswahl an Spielen kam überwiegend gut an. Zwar hatte ich mir deswegen zuvor viele Gedanken gemacht, denn ich wusste ja nicht, welche Art von Spiel könnte die Jungs so fesseln könnte, dass sie nicht gelangweilt davonliefen? Es ist zwar nicht so, dass ich über einen Mangel an Spielen klagen müsste, trotzdem erschien mir in dieser Vorbereitungsphase die Auswahl in unserem Spielezimmer viel zu klein! Aber nach einigem Hin und Her und diversen Absprachen mit Bekannten wurde meine Liste möglicher Spiele dann doch ganz schön lang.

Aufgrund der positiven Rückmeldung nach dem ersten Termin war mein Eifer geweckt und ich freute mich auf weitere Spielenachmittage. Da ich nicht immer mit denselben Spielen aufkreuzen wollte, stand die Frage nach den Spielen, die ich mitbringen wollte, vor jedem Besuch erneut im Mittelpunkt. Die Häftlinge machten es mir in dieser Hinsicht nicht gerade leicht, weil sie anfangs bis auf einen keine Wünsche äußerten. Und dieser eine lautete: Wir wollen alle zusammen spielen, nicht in zwei Gruppen.

Tja, Spiele für acht Leute gibt es gar nicht so viele. Vor allem, weil diese ja auch gewisse Kriterien erfüllen mussten: Vor allem durften die Regeln nicht zu kompliziert sein und das Spiel durfte nicht zu lange dauern.

Deshalb war ich gar nicht unglücklich darüber, dass einige der Häftlinge nicht immer mitspielen konnten, sei es, weil sie an dem Tag Besuch bekamen, zum Psychologen mussten, ein außergewöhnliches Schul- oder Sportprojekt auf dem Programm stand oder weil sie Zellenarrest hatten. Aus diesem Grund hatte ich auch immer zwei oder drei Spiele für sechs Personen im Gepäck, denn für diese Spielerzahl ist die Auswahl natürlich erheblich größer als für acht Leute.

Mehr oder weniger gut geeignet

Mit der Zeit bekam ich ein Gespür dafür, welche Art von Spiel für meine Gefängnisbesuche geeignet waren und welche nicht. Von kooperativen Spielen lässt man am besten die Finger. Die Häftlinge sind sehr schnell mit deftigen Schuldzuweisungen zur Hand, sofern die Teampartner unterschiedlich stark agieren. Das kann recht leicht zu einem beleidigenden Wortwechsel führen, so dass man besänftigend eingreifen muss, wenn man nicht möchte, dass das Gezanke möglicherweise zu mehr ausartet. Zwar habe ich immer mal wieder vorsichtige Vorstöße in diese Richtung unternommen, weil ich es gerade für dieses Klientel sehr wichtig finde, einen respektvollen Umgang miteinander zu lernen und zu leben, aber das Spielerlebnis war nie so, dass ich das entsprechende Spiel erneut auf den Tisch bringen wollte.

Am meisten Zuspruch fanden Karten- und Würfelspiele. Irgendwie sind das wohl zwei Spielelemente, mit denen die meisten der Sträflinge auch vorher schon einmal in Berührung kamen. Auch Bau-, Geschicklichkeits- und Reaktionsspiele kommen immer gut an, sofern sie nicht zu lange dauern. Hierbei ist jedoch Abwechslung sehr wichtig, damit jemand, der das jeweilige Genre nicht so gut beherrscht, nicht aus Frust alles hinschmeißt. Und – was mich sehr überraschte: Quizspiele standen anfangs hoch im Kurs. Diesbezüglich zeigte mir jedoch die Entlassung des zweiten Häftlings der Gruppe, dass die sozialen Gefüge im Gefängnis eine große Rolle spielen. Dieser eine Insasse war es nämlich, der immer wieder nach Quizspielen fragte. Da keiner widersprach, ging ich davon aus, dass es im Interesse aller sei, sich in Quizduellen zu messen. Später erkannte ich jedoch, dass dieser eine Sträfling – der sehr clever war – mit diesen Spielen sein Ansehen in der Gruppe stärken konnte, weil er über eine gute Allgemeinbildung verfügte und die Spiele deshalb meistens gewann. Sobald er weg war, verschwand auch der Wunsch nach Wissensspielen in der Versenkung.

Überhaupt spielt die Gruppendynamik im Gefängnis eine wichtige Rolle. Während sich recht bald „Pit!“ zu einem wirklichen Renner entwickelte und ein Muss bei jedem Spielenachmittag war, war das Spiel recht schnell wieder abgeschrieben, als drei weitere Insassen entlassen wurden und drei neue in die Wohngruppe kamen. Sie fanden das Spiel doof und schafften es, dem Rest die Freude daran ebenfalls zu nehmen. Solche Entwicklungen machen es also immer wieder notwendig, die Spieleauswahl erneut zu überdenken und anderes auszuprobieren.

Es wird also auch in Zukunft spannend bleiben!

Sandra Lemberger