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Spiel des Jahres 1984: DAMPFROSS von David G. Watts

Spiel des Jahres 1984: DAMPFROSS von David G. Watts

In die Pionierzeit des Eisenbahnbaus führt DAMPFROSS, als die Länder noch nicht mit dichten Schienennetzen überzogen waren. Diese anzulegen und darauf später Wettfahrten durchzuführen, ist vielmehr gerade Aufgabe der Teilnehmer. Je größer deren Zahl, desto härter die Auseinandersetzungen, umso sinnvoller aber auch, von Fall zu Fall zu kooperieren.

Mit einem Sechseckgitter unterlegte Karten von Deutschland, Frankreich und den Ost- und Weststaaten der USA schaffen mit ihren unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten jeweils ganz andere Rahmenbedingungen. Zudem stehen als Ausgangspunkt meist mehrere Städte zur Auswahl, was ebenfalls für Abwechslung sorgt. Die Baukosten pro Feld richten sich nach dem jeweiligen Gelände. So kommt man natürlich auf einer Ebene leichter voran als im Gebirge oder bei der Überquerung eines Flusses. Das nötige Kapital für die einzelnen Bauabschnitte wird jeweils erwürfelt. Dabei kann im Interesse völliger Chancengleichheit vereinbart werden, dass in jeder Runde allen Teilnehmern dasselbe Würfelergebnis zur Verfügung steht.

Sobald alle Städte an das mit Farbstiften eingezeichnete Schienennetz angeschlossen sind, beginnt die Betriebsphase. Zunächst werden jeweils Start- und Zielort bestimmt. Dann kann jeder Eisenbahnbaron entscheiden, ob er an der mit Würfelkraft ausgetragenen Wettfahrt überhaupt teilnimmt. Dies hängt davon ab, wie er seine Chancen einschätzt, eine Gewinnprämie zu erzielen, und ob die entstehenden Fahrtkosten das Risiko lohnen. Während man nämlich auf eigenen Gleisen kostenlos dahinbrausen kann, will die oft unvermeidliche Benutzung fremder Gleisabschnitte vergütet werden.

Wie schon beim Bau der Gleise können sich auch jetzt wieder zwei Spieler zusammentun, um ihre Strecken mit einem gemeinsamen Zug gebührenfrei zu benutzen, müssen sich dann jedoch auch eine etwaige Prämie für den ersten oder zweiten Platz teilen. Außerdem dürfen nach jeder zweiten Fahrt zehn Prozent der erzielten Einnahmen in den weiteren Ausbau des Streckennetzes investiert werden, was allerdings gut kalkuliert sein will. Denn das Spiel endet, sobald ein Spieler einen bestimmten Kontostand erreicht hat, oder nach einer festen Anzahl Wettfahrten.

Die Gründe

DAMPFROSS bezieht seinen Reiz aus dem interessanten Thema und der nahtlosen Verknüpfung seiner beiden unterschiedlichen Spielphasen. Strategisches Vorgehen beim Streckenbau, eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Analyse als Grundlage für die Entscheidung über die Teilnahme an den Wettfahrten, Bereitschaft zu gelegentlicher Kooperation und die Hoffnung, bei Fortuna nicht gänzlich in Ungnade gefallen zu sein, sind Komponenten, die das Spiel für Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen ansprechend machen und damit zugleich seine Qualität als Familienspiel ausmachen. Dies in derart überzeugender Manier, dass gleich sieben der seinerzeit acht Juroren es auf Platz 1 setzten.

Dass es vier Jahre zuvor noch bei einem anderen Verlag gleichwohl nur zum Sprung auf die so genannte Auswahlliste gereicht hatte, erklärt sich aus der damals leider unzureichenden redaktionellen Umsetzung. So wies die Spielanleitung gravierende Mängel auf, ließen Layout und Design zu wünschen übrig und waren die Spielpläne aus Papier und deshalb nicht wiederverwendbar. Alles Mängel, die mit der Neuauflage abgestellt worden sind.

Der Autor

Die Preisverleihung 1984. Links: Jury-Sprecher Bernward Thole, rechts: Autor David Watts

David G. Watts war von Beruf Lehrer für Geografie an einer Schule in Wales. Sein Spiel mit dem englischen Originaltitel „Railway Rivals“ hatte er ursprünglich als Unterrichtsmaterial für seine Schüler entwickelt. Bestärkt durch die Anerkennung, die ihm durch dessen Prämiierung zuteil geworden war, hängte er seinen Beruf an den Nagel, um sich fortan ganz der Entwicklung neuer Spiele widmen zu können. Bis auf zwei hat er sie jedoch sämtlich nur in kleinen Auflagen in seinem Eigenverlag Rostherne Games veröffentlichen können.

Der Spielejahrgang

Mit sechs Titeln war die so genannte Bestenliste deutlich länger geraten als im Vorjahr. Anders als bisher gab sie nicht mehr eine Rangfolge aufgrund der erzielten Punktzahlen wieder, sondern nannte die Spiele in alphabetischer Reihenfolge, um damit deren Gleichwertigkeit aufgrund durchweg hohen Unterhaltungswerts zu unterstreichen. Denn ob einem das eine oder das andere dort aufgeführte Spiel besser gefällt, ist weitgehend Geschmacksfrage.

Alex Randolph war mit dem abstrakten Strategiespiel CLAIM (Jumbo) vertreten, auf dessen variablen Spielplan gegnerische Steine durch Umzingeln geschlagen werden.

Von Sid Sackson, einem weiteren Spielautor von internationalem Rang, stammte METROPOLIS (Ravensburger), ein Verhandlungsspiel, bei dem es nicht um anrüchige Spekulationsgewinne, sondern um eine möglichst homogene Bebauung des Spielplans geht.

Aus demselben Verlag kam das flotte Legespiel DOMINGO von Kenneth Rand, das einen guten Blick für die kreuz und quer verlaufenden Farbreihen verlangt.

Um NETZWERK (Edition Perlhuhn) von Knut-Michael Wolf zu gewinnen, braucht ein Spieler lediglich die Hälfte seiner verbliebenen Steine auf die Grundlinie des Gegners durchzubringen oder dessen sämtliche Steine zu schlagen, wobei sich die Zugweite eines Steins nach der Anzahl seiner jeweiligen Nachbarn richtet.

Ähnlich feinsinnig hatte Roland Siegers sein UISGE (Hexagames) konzipiert, bei dem die eigenen Steine durch Überspringen umgedreht sein wollen, ohne dass der Seitenkontakt sämtlicher Steine verloren gehen darf. Dank seiner klobigen Holzscheiben aus poliertem Kirsch- bzw. Buchenholz, die in einer farblich genau abgestimmten kleinen Holzkassette untergebracht waren, hat UISGE zugleich noch den Sonderpreis für „Das schöne Spiel” einheimsen können.

Da es für Kinderspiele noch nicht einmal einen Sonderpreis gab, geschweige denn einen eigenen Hauptpreis nebst Nominierungs- und Empfehlungsliste, konnte sich schließlich auch Norbert Lechleitner mit seinem kooperativen Würfelspiel FEUERWEHR (Herder) platzieren, das selbst Fünfjährige bereits bewältigen können.

Die weitere Entwicklung

DAMPFROSS war das erste Spiel des Jahres, zu dem im Folgejahr ein Sequel nachgeschoben wurde, wie es erst wieder bei DIE SIEDLER VON CATAN und EL GRANDE Mitte der 90er Jahre geschehen sollte, im neuen Jahrtausend allerdings zum Standard geworden ist.

DAMPFROSS 2 brachte neben vier neuen Landkarten die regeltechnische Neuerung, beim Anschluss an eine fremde Linie bis zu drei Felder weit „springen“ zu dürfen. Dutzende weitere Karten hat der Autor nach und nach in seinem Eigenverlag veröffentlicht. Begeisterte Spieler haben ebenfalls eine ganze Reihe neuer Karten beigesteuert, die über das Internet kostenlos heruntergeladen werden können.

1992 erschien bei Laurin in gediegener Optik eine so genannte Autoren-Edition. Die 24seitige Spielanleitung wusste mit detaillierten Erläuterungen zu den verschiedenen Landkarten, einer Darstellung der Spielentwicklung und einer Autobiografie des Autors zu gefallen und führte zudem ein neues Prämiensystem ein. Eine bislang letzte Ausgabe sollte 1995 bei Queen Games folgen.

Eisenbahnspiele haben sich inzwischen zu einem eigenen Genre entwickelt. Allerdings geht es neben dem Streckenbau zumeist um wirtschaftliche Aspekte und den Warentransport. Wettfahrten stehen jedenfalls nicht mehr auf dem Programm. Dementsprechend fällt auch die Komplexität deutlich größer aus. Umso schöner, dass genau 20 Jahre nach DAMPFROSS mit ZUG UM ZUG (Days of Wonder) 2004 erneut ein auch für Gelegenheitsspieler bestens geeigneter Vertreter dieses reizvollen Genres mit dem Hauptpreis ausgezeichnet werden konnte.

Jochen Corts (Januar 2009)