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Die Welt ist ein Würfel

Die große Enttäuschung vielleicht zuerst: Wie schnell Ernő Rubik einen Rubikwürfel lösen kann, verrät der 76-jährige Spieleerfinder nicht in seiner Autobiographie „Cubed“, die jetzt bei C.H. Beck erschienen ist. Er hätte, schreibt er, nie seine Zeit gemessen.

Aber allein, dass diese Zahl interessant sein könnte, zeigt, welch einen langen und erfolgreichen Weg der Zauberwürfel genommen hat. Von der Erfindung 1976 über den weltweiten Erfolg in den 80er Jahren (und dem ersten und bis jetzt einzigem Sonderpreis der Jury Spiel des Jahres als „bestes Solitärspiel“) bis in die heutige Zeit, in der sich Maschinen – teilweise aus Lego – und Menschen mit Lösungsrekorden überbieten. Aktuell liegt der Rekord für Menschen übrigens bei 3,47 Sekunden, für Maschinen bei 0,637 Sekunden. Als Rubik seinen Würfel im stillen Kämmerlein entwarf – eigentlich nur als praktische Fingerübung für ihn als Professor für Kunsthandwerk und Gestaltung – und anschließend versuchte, ihn zu lösen, brauchte er einen Monat dafür.

„Und dann, in einem wunderbaren und denkwürdigen Moment, fügte sich alles. Am Ende hatte ich einen Monat gebraucht, um wieder zum Ausgangspunkt zurückzugelangen.
Ich betrachtete den Würfel und sah, dass alle Farben dort waren, wo sie sein sollten. Was war das für ein mitreißendes Gefühl! Eine Mischung als Erfolgsgefühl und ungeheurer Erleichterung. Und eine echtes Gefühl der Neugier: Wie würde es sein, das noch einmal zu machen?“

„Cubed“ steckt voller solcher Details. Kleine Geschichten, die im Nachhinein fast unglaublich klingen. Alleine, dass Rubik auf die Idee kam, dieses widerspenstige Objekt einfach mal zu bauen, zum Spaß, weil er fand, dass es irgendwie doch interessant sein müsse, das zu tun. Die Geduld, mit der er den Würfel dann zu einem funktionsfähigen Puzzle erweiterte. Wie er im sowjetischen Rumänien der 70er Jahre auf die Suche nach dem richtigen Plastik, dem richtigen Gussverfahren für sein Puzzle ging, nachdem er, eher zufällig, feststellte, dass Menschen von dem Objekt fasziniert waren. Wie sich – erst langsam und schleichend, dann mit schwindelerregender Geschwindigkeit – der Erfolg einstellte, mit dem eigentlich niemand so richtig gerechnet hatte.

„Seit der Cube 1974 in Budapest in mein Leben trat – aber ganz besonders, seit seine Bekanntheit zunahm – fühlte ich mich ein wenig wie der alte Holzschnitzer Geppetto, der mitansehen muss, wie seine Schöpfung zum Leben erwacht, mit nichts als Unsinn im Kopf und voller Abenteuerlust.“

Solche Anekdoten, die den Erfolg des Würfels nachzeichnen, sind die eine Hälfte des Buches. Die andere ist Mathematik. Designtheorie und -praxis. Da gibt es: Überlegungen zum Verhalten von Objekten im dreidimensionalen Raum, sperrige Erläuterungen zur Theorie des Würfels, gewürzt mit mathematischen Erklärungen zu Lösungswegen und –möglichkeiten von Puzzles im Allgemeinen und Rubiks Würfel im Besonderen. Da kann der Professor in Rubik nicht so ganz aus seiner Haut.

„Vor nicht allzu langer Zeit tüftelte ich an einem neuen Puzzle herum, das auf 27 kleinen, nicht miteinander verbundenen Würfeln bestehen sollte. Pro Set verwendete ich drei Farben und wollte herausfinden, ob ich mit jeder dieser Farben einen einfarbigen 3x3x3-Würfel zusammenstellen konnte. Wie sich herausstellte, war dieses Problem viel leichter zu lösen, als ein System für die Farbgebung zu finden. Die zentrale Frage dabei war: Wie mussten 27 Würfel farblich gestaltet sein, damit sie sich auch dreierlei verschiedene Weise so zusammensetzen ließen, dass von außen nur eine Farbe zu sehen war, während innen gleichfarbige Flächen aneinanderstießen? Schließlich fand ich die Lösung nicht nur für die Zahl 3, sondern auch für n.“

Einen wirklichen roten Faden hat das Buch dabei nicht. Rubik springt durch Jahre, durch Anekdoten, durch Theorien. Das Buch ist ähnlich gebaut wie ein Zauberwürfel: Viele kleine Teile, die zunächst einmal in keiner erkennbaren Beziehung zueinander stehen. Diese sehr unterschiedlichen Ansätze klicken dann aber später wie selbstverständlich zusammen. Wie die Lösung des Würfels, wenn man ihn dann endlich verstanden hat. Rubik entwickelt aus den einzelnen Teilen so etwas wie eine Lebensphilosophie. Eine, in der einerseits Gelassenheit und andererseits die ganz eigene Beharrlichkeit kindlicher Neugier eine große Rolle spielen.

„Die Lösung für den Cube lässt sich technisch einfacher finden, wenn jemand bereits über gewisse Kenntnisse mathematischer und geometrischer Grundregeln verfügt. Das Wunderbare aber ist, dass das Wissen um diese Prinzipien überhaupt nicht nötig ist. Der Cube kann eine Einführung in diese Denkweise darstellen, wenn derjenige, der ihn in die Hand nimmt offen dafür ist, diese Prinzipien wahrzunehmen, zu entdecken und zu erkunden. Deshalb lösen Kinder den Würfel oft besser als Erwachsene.“

Man muss Rubik da selbstverständlich nicht folgen – was „Cubed“ allerdings zeigt ist, dass diesem eigenartigen, diesem widerspenstigen Objekt namens „Rubiks Würfel“ mehr steckt, als man ihm ansieht. Er ist eben nicht nur ein Puzzle. In dem Würfel liegt eine gewisse Art verborgen, die Welt zu erklären. Ob das dann Menschen oder Maschinen bei der Lösung hilft, ist natürlich eine andere Frage.

Jan Fischer