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Spiel des Jahres 1983: Scotland Yard

Spiel des Jahres 1983: SCOTLAND YARD von Werner Schlegel, Dorothy Garrels, Fritz Ifland, Manfred Burggraf, Werner Scheerer und Wolf Hörmann

Auf einem großen Plan der Innenstadt Londons mit plastisch gezeichneten Bauwerken und den bekannten Sehenswürdigkeiten begeben sich 2 bis 5 Detektive auf die Suche eines nur gelegentlich auftauchenden Mister X, der von einem weiteren Teilnehmer geführt wird.

Es wird reihum gezogen, wobei Mister X lediglich zu verraten braucht, welches Verkehrsmittel er gerade benutzt hat. Selbst dies darf er für sich behalten, wenn er sich eines Black Tickets bedient hat. Aufgabe der Detektive ist es, gleichwohl mit kriminalistischem Scharfsinn auf seinen Aufenthaltsort zu schließen und das Netz um ihn immer enger zu ziehen, bis er endlich gefasst werden kann. Um die Detektive nicht völlig im Nebel herumtappen zu lassen, muss sich Mister X allerdings in bestimmten Abständen viermal nach seinem Zug blicken lassen.

Damit Mister X nicht in Versuchung gerät oder sich auch nur dem Verdacht ausgesetzt sieht, gelegentlich zu mogeln, muss er jeden seiner Züge auf einer sinnvoll konstruierten Fahrtentafel notieren, die zugleich als Ablage der von ihm verwendeten Tickets dient. Auf diese Weise lässt sich seine Fährte bei Ende der Partie genau zurückverfolgen und diskutieren, wo man wann was hätte besser gemacht haben können, wenn es Mister X gelungen sein sollte, den Detektiven durch die Lappen zu gehen.

Die Gründe

Während der allein agierende Spieler seine diebische Freude daran haben kann, die anderen an der Nase herumgeführt oder sich aus einer prekären Situation erfolgreich herausgeblufft zu haben, besteht der Reiz für die Detektive darin, durch intensive Beratung und Abstimmung ihrer Züge Mister X auf die Spur zu kommen und ihn schließlich in die Enge zu treiben. Damit hat SCOTLAND YARD eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass kooperative Brettspiele auch für Erwachsene von dauerhaftem Spielreiz sein können.

Mit seiner asymmetrischen Aufgabenstellung, dem Zwang zur Kooperation aller gegen einen und der damit verbundenen intensiven Kommunikation sowie der aus all dem erwachsenden hochgradigen Spannung während einer angenehmen Spieldauer von 45 Minuten verfügt SCOTLAND YARD über Qualitäten, die es wie gemacht erscheinen ließen, als Spiel des Jahres ausgezeichnet zu werden. Dass sich die Ravensburger als Branchenführer zum 100-jährigen Bestehen ihres Verlags mächtig ins Zeug legen würden, war zu befürchten gewesen.

Zu befürchten deshalb, weil sie damit nach SAGALAND im Vorjahr und HASE UND IGEL als dem allerersten Preisträger innerhalb von fünf Jahren bereits zum dritten Mal diese Auszeichnung erhalten würden, was den Verdacht hätte nähren können, sie ihrer Stellung am Markt wegen über die Maßen zu hofieren. Indessen nichts, was die Jury in ihrer Entscheidungsfindung hat beeindrucken können.

Schon auf der Messe in Nürnberg als heißer Favorit gehandelt, ist SCOTLAND YARD später von fast allen Juroren auf Platz 1 gesetzt worden, was zu einem entsprechend deutlichen Ergebnis geführt hat. Auch bei einer Leserumfrage der SpielBox konnte es sich als „Das beliebteste Spiel ’83“ durchsetzen. Nicht verschwiegen werden darf allerdings, dass damals die Konkurrenz bei weitem nicht so groß war wie heute, wo auch die Internationalen Spieltage in Essen eine wahre Flut von Neuheiten auf die Spieltische spülen.

Die Autoren

Entwickelt worden ist SCOTLAND YARD von einem Projekt-Team, das der damalige Redaktionsleiter Werner Schlegel aus den verschiedensten Verlagsbereichen zusammen gestellt hatte und das neben einer Spielredakteurin und einem Produktentwickler auch einen Grafiker, einen Techniker und einen Einkäufer umfasste. Am Anfang stand die Frage, was die Beteiligten als Kinder selbst gern gespielt haben, und dies war bei den meisten das alte Fangspiel „Räuber und Gendarm“.

Davon ausgehend entwickelte das Team in neunmonatiger Arbeit einen Prototypen, der sodann unter dem Arbeitstitel „Manhattan“ wie jeder andere Entwurf einer gründlichen verlagsinternen Überprüfung auf Substanz, Spielreiz und Wiederspielwert unterzogen wurde.

Der Spielejahrgang

Die neben dem Preisträger veröffentlichte Bestenliste beschränkte sich auf ganze vier Titel und war damit so kurz wie nie zuvor oder danach. An die Spitze gesetzt hatte sich DER SCHWARZE PRINZ (Noris) von Johann Rüttinger, ein kartengesteuertes Strategiespiel. Platz 2 belegte das nach Titel und Aufmachung offenbar für Kinder konzipierte, aber durchaus für die ganze Familie geeignete Eisenbahnspiel FUZZY, HEINZ UND SCHLENDRIAN (Spear) von Manfred Ludwig. Auf dem nächsten Platz folgte Reinhold Wittig mit dem in seiner Edition Perlhuhn selbst verlegten Knobelspiel RIOMBO. Sein nahezu konfliktfreies Würfelspiel WIR FÜTTERN DIE KLEINEN NILPFERDE wurde zugleich noch mit dem Sonderpreis für Das schöne Spielausgezeichnet. Den Abschluss bildete das BÄRENSPIEL, ein kooperatives Würfelspiel von Hajo Bücken aus dem auf dieses Genre spezialisierten Herder-Verlag.

Bemerkenswert noch, dass zwei der damals gerade aufkommenden Videospiele, die sich im juryinternen Wertungslauf noch durch Mehrfachnennungen hatten platzieren können, im anschließenden Vetolauf dann doch auf der Strecke geblieben sind.

Die weitere Entwicklung

Gerade einmal zwei Jahre nach dem Erscheinen lief am 28.03.1985 bereits das millionste Exemplar SCOTLAND YARD vom Band. Dass sich das Spiel dann auch zu einem Longseller entwickelt hat, lässt sich daran erkennen, dass es bis heute durchgängig im Programm geblieben ist. Dabei ist an den Spielregeln nie etwas geändert worden, brauchte es aber auch nicht. 1996 und 2003 ist lediglich ein optisches Lifting erfolgt. Zugleich bekam das Spiel zu seinem 20. Geburtstag in limitierter Auflage eine hübsche Blechdose spendiert, auf deren Deckel stolz der Verkauf von weltweit mehr als vier Millionen Exemplaren verkündet werden konnte.

1999 brachte die Variante N.Y. CHASE, in der Mister X durch die Häuserschluchten von Manhattan gejagt wird, wie es ja ganz zu Anfang vorgesehen war.

Den Detektiven steht hier neben Straßensperren dreimal ein Hubschrauber zur Verfügung, um schnell größere Entfernungen überwinden zu können. Zum Ausgleich darf der Benutzer erst im nächsten Zug nach der Landung die angesteuerte Station besetzen. Außerdem ist den Detektiven erlaubt, ihre Tickets zu tauschen. Dagegen muss sich der Spieler des Mister X mit einem Augenschirm begnügen, der es ihm immerhin erleichtert, sich auf dem Spielplan umzuschauen, ohne Rückschlüsse auf seine Pläne zuzulassen.

Selbst zu zweit lässt sich das taktische Potential des Spiels ausschöpfen, wenn ein Teilnehmer drei oder vier Detektive führen darf. Andererseits wird Scotland Yard immer wieder einmal auch gruppenweise in Ballungsgebieten mit S- und U-Bahn und Bussen oder sogar deutschlandweit per ICE gespielt.

Seit 1998 kann man am PC sogar ganz allein auf Verbrecherjagd gehen. Daneben bietet die CD-ROM eine Internetvariante, die es über ein Chat-Fenster erlaubt, sich mit Detektiven aller Herren Länder zu vereinen.

 Außerdem lässt sich damit die vertraute Grundversion mit Rollenspiel-Elementen anreichern, sodass die Spieler zu Charakteren mit übermenschlichen Fähigkeiten mutieren. Über einen Zoom gelangen sie zunächst in die dreidimensionale Luftbild-Darstellung eines Stadtteils von London zu Zeiten Queen Victorias, um sodann wieder in eine der 200 detailgetreu nachgebauten Straßenkreuzungen hinabzusteigen.

In Kooperation mit dem Karussell-Verlag hatten die Ravensburger ihren Longseller bereits seit 1986 auch als Vorlage für eine gleichnamige Jugendhörspielserie genutzt. Darin fahnden die Drillinge Betty, Benny und Buck in den Straßen Londons nach Verbrechern, wobei sie einen Stadtplan wie im Brettspiel verwenden, auf dem sich ihre Schritte dann auch gut nachvollziehen lassen. Als Erzähler konnte kein Geringerer als der Schlagersänger Freddy Quinn gewonnen werden. Die Serie brachte es auf beachtliche 29 Folgen. Im Jahr 2000 wurden die Folgen 1-12 auf MC wie auch CD neu veröffentlicht.

Jochen Corts (Februar 2008)