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Spiel des Jahres 1997: Mississippi Queen

Vor 25 Jahren
Spiel des Jahres 1997: Mississippi Queen von Werner Hodel


Das Spiel

MISSISSIPPI QUEEN ist ein Rennspiel für 3 bis 5 Spieler ab 10 Jahren.
Eine Gruppe rivalisierender Kapitäne begibt sich mit ihren wendigen Flussdampfern auf eine Wettfahrt den Mississippi entlang. Während ein Schaufelrad die gefahrene Geschwindigkeit anzeigt, lässt sich auf dem anderen der verbliebene Vorrat an Kohle ablesen. Diese braucht man, um Geschwindigkeit oder Richtung über das Normalmaß hinaus zu verändern. Da heißt es vernünftig hauszuhalten, um auf dem Schlussabschnitt noch hinreichend manövrierfähig zu sein.
Kein Rennen gleicht dem anderen, weil der Fluss Abschnitt für Abschnitt stets aufs neue ausgelegt sein will. Wer dem Feld mit Volldampf vorauseilt, läuft deshalb Gefahr, auf überraschende Biegungen nur unter schmerzlichem Zeitverlust reagieren zu können. Auch müssen im Laufe des Rennens auf zwei verschiedenen Inseln Passagiere aufgenommen werden, was ebenfalls bei der Wahl von Kurs und Geschwindigkeit bedacht sein will.
Für Interaktion ist ebenfalls hinreichend gesorgt. Von hinten heranpreschende Dampfer können den Weg versperrende Konkurrenten abdrängen und diese dadurch zu lästigen Umwegen zwingen. Verbunden natürlich mit dem Risiko, bei nächster Gelegenheit selbst auf diese Weise von der Ideallinie abgebracht zu werden.

Die Gründe

Nach zwei Jahren spielerischer Vollwertkost mit DIE SIEDLER VON CATAN und EL GRANDE war zur Abwechslung einmal wieder etwas leichter Verdauliches angesagt. Ein Spiel, das sich auch dem Gelegenheitsspieler auf Anhieb erschließt und im Familienkreis von Jung und Alt gleichermaßen schnell in den Griff zu bekommen ist. Dies wird bei MISSISSIPPI QUEEN didaktisch geschickt noch dadurch erleichtert, dass in der Anleitung zunächst eine Partie so genannter Fahrschule vorgeschaltet ist, bevor dann auch die Passagiere ins Spiel kommen.

Während kluge Fahrmanöver und taktisches Geschick den Kampf um die Führung prägen, sorgt der Umstand, dass der jeweils nächste Flussabschnitt und dessen Ausrichtung per Würfelwurf ermittelt wird, für ein ausgleichendes Zufallselement. Damit erhalten auch hinten Liegende die Chance, wieder nach vorn zu kommen, und bleibt der Ausgang des Rennens meist bis zuletzt offen. Immer wieder anders verzahnte, einen mäandrierenden Flusslauf erzeugende Spielplanteile, auf denen die kleinen Schaufelraddampfern manövrieren, um auf den Inseln wartende Passagiere aufzunehmen, schaffen zusammen mit der stimmigen Illustration eine schöne Atmosphäre.

Der Autor und sein Werk bei der Preisverleihung 1997

Der Autor

Werner Hodel, Oberstudienrat für Mathematik und Physik, hatte seit 1994 in seiner dafür gegründeten Edition Malibu mehrere eigene Spiele in Kleinstauflage zunächst durchweg nur selbst veröffentlicht. Eines davon sollte sich dann aber in gründlich überarbeiteter Fassung und mit anderem Titel als ganz großer Wurf erweisen. Weitere Erfolge waren dem Autor leider nicht vergönnt, ein aus der Musikwelt als One-Hit-Wonder bekanntes Phänomen. Was ihn nicht daran hindern sollte, weiterhin alljährlich zum Spielautoren-Treffen nach Göttingen zu pilgern, in der Hoffnung, mit neuen Kreationen eines Tages vielleicht doch noch einmal das Interesse dort anwesender Redakteure zu wecken.

Der Illustrator

Der Grafiker Franz Vohwinkel hatte bereits die Illustration zu DRUNTER & DRÜBER geliefert, Klaus Teubers im Hans im Glück Verlag erschienenen Spiel des Jahres 1991. Inzwischen ist er mit seinen Arbeiten im Bereich der Brett- und Kartenspiele weltweit vertreten und hat dafür auch schon diverse Auszeichnungen entgegennehmen dürfen.

Der Verlag

Für den gerade erst 1995 vom Konzern Simba Toys gegründeten Verlag Goldsieber Spiele bedeutete die Auszeichnung die Krönung eines bemerkenswerten verlegerischen Engagements, nachdem man voriges Jahr bereits für CARABANDE den Sonderpreis Geschicklichkeitsspiel hatte entgegennehmen können. Unter dem gleichnamigen Label ist binnen drei Jahren ein Programm im Bereich der Familien- und Erwachsenenspiele auf die Beine gestellt worden, wie es eigentlich den Großen der Branche gut zu Gesicht gestanden hätte, die sich damals jedoch leider in Enthaltsamkeit übten. Zwei weitere Platzierungen auf der diesjährigen Nominierungsliste rundeten den Erfolg ab. Garant für diesen Erfolg war TM, ein von Klaus Teuber und Reiner Müller gegründetes Entwicklungsteam. Der eine als Autor bereits mehrfach für seine Spiele ausgezeichnet, der andere verantwortlich für das Konzept der Zeitschrift spielbox und das der Spielertage in Essen.

Preisverleihung 1997: Werner Hodel am Goldsieber-Stand

Der Spielejahrgang

Die Entscheidung war in diesem Jahr so schwierig wie lange nicht mehr, standen doch gleich mehrere weitere Spiele zur Auswahl, die aufgrund von Originalität und Unterhaltungswert ebenfalls als Hauptpreisträger vorstellbar gewesen wären. So hatte der spätere Sieger im Informationslauf noch 24 Punkte hinter dem dort Erstplatzierten bloß auf Platz 3 gelegen. Dass die alphabetische Empfehlungsliste erneut eine Länge von neun Titel erreicht hat, belegt zugleich, dass auch quantitativ das hohe Vorjahresniveau gehalten werden konnte.

Mit BOHNANZA von Uwe Rosenberg hat der Verlag Amigo seinem ohnehin schon beeindruckenden Programm origineller Kartenspiele eine echte Perle von weiterhin ungetrübtem Glanz hinzugefügt. Wie im Titel als Kalauer anklingt, geht es um den Anbau von Bohnen. Je mehr Karten derselben Bohnensorte ein Akteur auf einem Feld ausgelegt hat, desto höher sein Profit. Spieltechnisches Problem dabei ist, daß die Karten nicht beliebig ausgespielt werden dürfen, sondern nur exakt in der Reihenfolge, wie man sie auf die Hand bekommen hat. Wer unpassende Karten loswerden will, muss deshalb sehen, sie rechtzeitig gegen andere bei seinen Konkurrenten wegzutauschen. Für lebhaften Handel ist damit bestens gesorgt.

Sein COMEBACK hat Autor Reinhard Staupe im Eigenverlag gefeiert. Es entpuppt sich als knuffiges Versteigerungsspiel, das sofort zündet und auf die nächste Partie heiß macht. Die gerade einmal 28 Karten tragen außer Zahlen auch Sterne, die beiden niedrigen Werte mehr als die hohen. Jeder versucht, möglichst viele Karten einer Farbe zu sammeln, deren Gesamtwert nämlich am Schluss mit der Anzahl der Sterne multipliziert wird. Dummerweise schmilzt das Startkapital beängstigend schnell dahin, weil einen die lieben Mitspieler immer wieder bis an die Schmerzgrenze hochtreiben oder man selbst bisweilen für eine eigentlich nutzlose Karte ziemlich viel ausgibt, nur um zu verhindern, dass sie in der Hand eines anderen eine Wertexplosion auslöst.

DIE SIEDLER VON CATAN – DAS KARTENSPIEL kommt im Gefolge des gleichnamigen Brettspiels, mit dem Klaus Teuber und der Kosmos Verlag vor zwei Jahren den Hauptpreis geholt hatten. Zwei Kontrahenten treten an, ihre anfangs noch kleinen Siedlungen zu Städten mit allerlei Funktionsgebäuden auszubauen, die zivilisatorischen Fortschritt widerspiegeln. Zugleich werden durch Straßenbau und Errichtung weiterer Siedlungen zusätzliche Rohstoffquellen erschlossen. Da anders als in der Brettspielvorlage die dort spielbestimmenden Tauschgeschäfte kaum vorkommen, bringt eine Reihe von Angriffs- und Schutzkarten die nötige Interaktion ins Spiel, dessen Faszination sich niemand zu entziehen vermag.

Ein weiteres im Eigenverlag produziertes Spiel ist DIMENTICATO von Ferdinand Hein. In dieser hochwertig verarbeiteten MENSCH ÄRGERE DICH NICHT-Variante wird die Zugweite der Figuren auf dem vor jeder Partie neu ausgelegten Rundkurs von Würfelzahlen vorgegeben, die auf die Felder gedruckt sind. Vorrücken darf freilich nur, wer sich die Zahl unter der von ihm gewählten Figur gemerkt hat. Geschmissene Figuren müssen nicht wieder ganz von vorn beginnen, sondern werden lediglich drei Felder zurückgesetzt. Die besondere Familientauglichkeit dieses auch optisch ansprechenden Spiels erweist sich daran, dass Kinder bei solchen Merkspielen Erwachsenen gegenüber meistens im Vorteil sind.

Bei Wolfgang Kramers EXPEDITION (Queen Games) handelt sich um eine gründlich überarbeitete Version des früheren Ravensburger Spiels ABENTEUER TIERWELT. War schon dieses mit einer Auflage von 300.000 Stück ein großer Verkaufserfolg, so hat EXPEDITION aufgrund seiner spieltechnischen Verbesserungen eine noch größere Verbreitung verdient. Auf ihrer Reise um die Welt können die 2 bis 6 Forscher jetzt durch geschicktes Ausspielen von Reisegutscheinen und Ansteuern bestimmter Orte ganze Kettenzüge absolvieren, was dem Ablauf zusätzliche Dynamik verleiht. Zudem ist es durch das Bilden einer Schleife nunmehr auch möglich, die Expedition an einem beliebigen Ort der bisherigen Route fortzusetzen.

Klaus Teubers LÖWENHERZ (Goldsieber) ist für das breite Publikum ein recht harter Brocken, für den Spielgourmet dagegen eine wahre Delikatesse, die nach heutigem Verständnis als Kennerspiel einzuordnen wäre. Bei der Inbesitznahme von Ländereien kommen sich die 2 bis 4 Akteure früher oder später ins Gehege. Doch auch vorher schon, wenn es um die Berechtigung zur Ausführung der verschiedenen Aktionen geht, geraten stets mindestens zwei von ihnen aneinander und müssen sich duellieren, sofern es nicht noch zu einer gütlichen Einigung kommt. Ein tolles Konzept, das alle Beteiligten permanent in Atem hält und wieder einmal die Extraklasse des Autors unter Beweis stellt, der immerhin schon vier Spiele des Jahres abgeliefert hat.

Viertes Kartenspiel auf der Liste ist Günter Burkhardts MANITOU (Goldsieber). Weder Stich- noch Legespiel, sondern ein taktischer Wettstreit von beachtlicher Komplexität. Ziel der 2 bis 4 Indianerstämme ist es, möglichst viele wertvolle Büffel zu erlegen. Wer allerdings nur Jäger mit einer hohen Zahl an Stärkepunkten aussendet, riskiert, als Fellräuber dazustehen und mit einem kräftigen Punktabzug bestraft zu werden. Da die Jagd über mehrere Runden geht, gilt es zudem zu vermeiden, dass die Jäger von gegnerischen Kriegern gefangen genommen werden. Dass ein Häuptling als eigentlich stärkster Krieger von einer Squaw besiegt werden kann, macht die Zusammenstellung einer schlagkräftigen Kartenhand auch nicht eben einfach.

Auf der Suche nach der Idealbesetzung für ihre Musicals müssen die Teilnehmer bei SHOWMANAGER (Queen Games) von Dirk Henn aus einer wechselnden Schar von Bewerbern auswählen. Neben Spitzenkräften für bestimmte Stücke gibt es vielseitig einsetzbare Talente, die allerdings bei der Bewertung der Aufführung weniger Punkte bringen. Bisweilen muss man sogar froh sein, mit einem Provinzschauspieler über die Runden gekommen zu sein. Da von jedem Musical eine Produktion abzuliefern ist, man nach deren Aufführung aber nur zwei Darsteller behalten darf, stellt sich angesichts begrenzter finanzieller Möglichkeiten schnell prickelnde Ungewissheit ein, ob die eigenen Aufführungen auf den vorderen Rängen landen werden.

Bleibt noch VISIONARY nach einer Idee von Ron Dubren aus dem Hause Schmidt Spiele. Zwei Teams treten zu einem äußerst kommunikativen Wettbauen an. Als Baumaterial dienen Holzklötzchen in unterschiedlichen Formen und Größen. Nur jeweils ein Akteur darf (eine!) Hand anlegen, wobei ihm obendrein die Augen verbunden sind. Deshalb muss ihm ein Mitglied seines Teams präzise Angaben machen, welches Teil er woher nehmen und wo er es wie platzieren soll, um den Bauplan umzusetzen. Eine nervenaufreibende Tätigkeit, bei der Konzentration und Fingerspitzengefühl gefordert sind und bei der es schnell hoch hergeht, wenn die beiden Bauleiter ihre Anweisungen wild durcheinander rufen, um vor der Konkurrenz fertig zu werden.

Sonderpreise

Mit dem Sonderpreis Kinderspiel wurde LEINEN LOS! (Haba) ausgezeichnet. Wie beim Hauptpreisträger geht es auf eine Wettfahrt zu Wasser, die sich Altmeister Alex Randolph für Bootsführer ab sechs Jahren hat einfallen lassen. Da die kleinen Holzboote nur an ihren frei beweglichen Außenbordmotoren mit dem Zeigefinger geführt werden dürfen, sind sie nur schwer auf Kurs zu halten und drohen ständig auszubrechen. Stoßen sie dabei gegen eine Boje, endet die Fahrt sofort. Aber auch sonst dauert ein Zug nur so lange, wie ein Konkurrent braucht, um eine Schnur in ordentlichen 8er-Schlingen um einen Kreuzpoller zu wickeln.

Zum letzten Mal verliehen wurde der Sonderpreis Schönes Spiel. Er ging an das taktische Bauspiel AZTEC von Niek Neuwahl, das vom Zoch Verlag in eindrucksvoller Manier materialisiert worden ist. Als Box und Spielfläche dient eine große tiefblaue Holzkiste in Form eines Trichters. Die darin verstauten, durchweg gleichen Bauteile setzen sich aus lasierten Würfeln in abgestuften Blautönen zusammen. Dem visuellen Genuss korrespondiert das intellektuelle Vergnügen beim optimalen Platzieren der aufgrund ihrer abknickenden Form äußerst sperrigen Blöcke. Besonders originell die asymmetrische Aufgabenstellung, dass ein Spieler es darauf anlegt, die beiden anderen daran zu hindern, eine von ihm annoncierte Punktzahl zu überschreiten.

Der nach CARABANDE im Vorjahr sogleich zum zweiten Mal, seitdem allerdings auch nie wieder vergebene Sonderpreis Geschicklichkeitsspiel ging an HUSARENGOLF von Torsten Marold (Abacusspiele). Kein Brettspiel im üblichen Sinne, sondern ein Spielgerät in Form eines Tabletts mit zwei Griffen an den Längsseiten. Die beiden Kontrahenten versuchen, eine Holzkugel in eine der Mulden ihrer Farbe zu bugsieren. Was dabei nach anfänglich vorsichtigem Heben und Senken an schweißtreibenden Zuckungen und Verrenkungen aufgeführt zu werden pflegt, verschafft dem Beobachter des seltsamen Treibens kaum weniger Vergnügen als den Akteuren selbst.

Die weitere Entwicklung

Zu MISSISSIPPI QUEEN ist im Folgejahr eine gelungene Erweiterung erschienen. THE BLACK ROSE bringt neben Flussabschnitten mit Gefahrenstellen und Ladestationen für Kohle sowie Material für einen sechsten Teilnehmer einen schwarzen Raddampfer, der vom jeweiligen Schlusslicht gesteuert werden kann, um den Führenden etwas auszubremsen.
Mit einer 2019 vom französischen Verlag Super Meeple veröffentlichten Neuausgabe sind Grundspiel und Erweiterung zusammengeführt worden. Eine äußerst befriedigende, wenn auch späte Bestätigung für den Autor.

Jochen Corts (Mai 2022)

Rückblick von Stefan Ducksch von 2007

Interview mit dem Autor Werner Hodel