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Rede der Kulturstaatsministerin Monika Grütters

„Es ist das Spiel und nur das Spiel, das den Menschen vollständig macht“, so hat es Friedrich Schiller einmal formuliert, und die vielen Redewendungen in der deutschen Sprache zeigen wunderbar, wie sehr das Spiel Abbild und Metapher des Lebens ist − wie sehr der Begriff des Spielens unser Denken und Handeln bestimmt. Gerade wir Politiker scheinen ja den Medienberichten zur Folge passionierte Spieler zu sein, ist doch immer wieder die Rede davon: dass wir die „Spielregeln vorgeben“, „dass wir „etwas aufs Spiel setzen“, „ein doppeltes Spiel“ oder gar „mit dem Feuer spielen“, dass wir „das Spiel durchschauen“, unsere „Hand im Spiel haben“, „Spielverderber“ sind, „ein offenes Spiel spielen“ oder uns endlich über ein „gewonnenes Spiel“ freuen dürfen.
Dass wir in der Politik aber über die Bedeutung des Spielens reden, kommt dann doch eher selten vor. Umso mehr freue ich mich, lieber Herr Schrapers, lieber Herr Heinecke und lieber Herr Löhlein, über Ihre Einladung.
Haben Sie herzlichen Dank, dass Sie mich bei dieser Preisverleihung „nicht aus dem Spiel lassen“ und mir einmal die Gelegenheit geben, Ihr Engagement und den Erfolg der Spieleautorinnen und Autoren zu würdigen.
Dass der Spiele-Markt wächst und auch analoge Gesellschaftsspiele trotz des vielfältigen digitalen Angebotes einen regelrechten Boom zu verzeichnen haben, − ja, dass immer wieder neue, anspruchsvolle und phantasievolle analoge Spiele entwickelt werden, belegt nicht nur den großen Innovationsgeist Ihrer Branche, meine Damen und Herren, es zeigt auch deutlich: Das analoge Spiel hat durch den Aufstieg des digitalen Spiels keineswegs an Bedeutung verloren! Im Gegenteil: Die Lust am Austausch, die Freude an der Geselligkeit, am Gruppenerlebnis und an der sozial integrativen Kraft des Brettspiels ist ungebrochen. Die digitale und die analoge Spielebranche laufen sich nicht etwa gegenseitig den Rang ab, nein, sie profitierten voneinander und befruchten sich gegenseitig. Das zeigt auch die erfolgreiche Entwicklung der Hybridspiele, die Elektronik und Brettspiel raffiniert miteinander vereinen. Und ist es nicht auch hier gerade die haptische Qualität des Spiels, das Klicken und Klackern der Würfel, Figuren und Kärtchen, das detailreich gestaltete Material aus Pappe, Holz und Plastik, das die Sinne reizt und die Spiellust steigert? Bei mir jedenfalls stellen sich gleich Entspannung und Spielfreude ein, wenn ich die Würfel in meinen Händen schüttle und sie auf das Brett fallen lasse oder der Sand langsam durch den schmalen Hals der Sanduhr rieselt.
Und das gilt offenbar nicht nur für mich, sondern auch für fast die Hälfte der Deutschen. Deutschland ist eine Spielenation, meine Damen und Herren. Nicht zufällig werden Gesellschaftsspiele im Ausland „German Games“ genannt. Nicht zufällig bezeichnet der Begriff „German-style“ im Spielerjargon anspruchsvolle, qualitativ hochwertige Spiele. Die Lust am Fantasieren, Verwandeln und Erfinden, die Freude daran, das Glück mit Kreativität, Geschick und strategischer Klugheit herauszufordern, teilen hierzulande Millionen Menschen − vom Kleinkind bis zum Rentner. Ihnen bieten die Verlage jedes Jahr 300 bis 400 neue Spiele − ungemein vielfältige Angebote und Möglichkeiten, in unterschiedliche Spielwelten einzutauchen, die Sie, liebe Spieleautorinnen und Autoren und liebe Illustratorinnen und Illustratoren, mit Kreativität, Erfindergeist und Mut entwickeln und entwerfen.
Aber natürlich kann nicht jedes Spiel, meine Damen und Herren, in gleicherweise kulturell wertvoll sein. Nicht jedes Spiel erlangt Kultstatus, nicht jedes Spiel ist gleichermaßen spannend, inspirierend und bereichernd. Umso wichtiger ist es, dass die Jury „Spiel des Jahres“ Orientierung bei der Auswahl, bei der Suche nach herausragenden und kulturell wertvollen Spielen gibt und damit den Verkauf der ausgezeichneten Spiele, vor allem aber auch die begabtesten Spieleautorinnen und Autoren fördert.
Dass sich „Die Siedler von Catan“ fast doppelt so häufig verkauft haben wie beispielsweise Patrick Süskinds Weltbestseller „Das Parfüm“ oder Ernest Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ ist sicherlich dem Sog, der psychologischen Raffinesse und dem sozialen Charakter dieses so populären Spiels zu verdanken.
Das amerikanische Magazin „Wired“ hat es sogar einmal als „Kokain der Brettspielszene“ bezeichnet, das selbst Unternehmer des Silicon Valley und die Nerds der Digitalbranche süchtig macht. Offenbar müssen wir uns also auch über den Suchtcharakter solcher Brettspiele Gedanken machen, jedenfalls aber hat sein Erfinder Klaus Teuber mit dem verstaubten Image des Gesellschaftsspiels ein für alle Mal aufgeräumt.
Dass „Die Siedler von Catan“ über 27 Millionen Mal verkauft und in über 40 Sprachen übersetzt wurden, dass dieses Spiel − wie auch andere herausragende Spiele − einen derart großen Erfolg zu verzeichnen haben, ist aber vor allem auch Ihnen zu verdanken, liebe Jurymitglieder; gelingt es Ihnen doch Jahr für Jahr, mit Sensibilität für gesellschaftliche Entwicklungen und Trends, mit Spielleidenschaft und Expertise, die erfolgversprechendsten und besten Spiele ausfindig zu machen. Ich denke, die größte Anerkennung Ihrer Arbeit ist sicherlich das Vertrauen, das Ihnen tausende Spieler mit dem Kauf des „Spiel des Jahres“ immer wieder aufs Neue entgegenbringen. Auch ich danke Ihnen für diese anregende Arbeit, die ich nicht nur als – ich gebe zu, aus Zeitgründen leider nur „Gelegenheitsbrettspielerin“, sondern auch als Kulturstaatsministerin schätze. Mit den Auszeichnungen „Spiel des Jahres“ und dem „Kennerspiel des Jahres“ tragen Sie zur kulturellen Wertschöpfung und zur Entwicklung des Gesellschaftsspiels bei und setzen wichtige Impulse, um für das Spiel als Kulturgut zu werben.
„Es ist das Spiel und nur das Spiel, das den Menschen vollständig macht“. Das Spiel gehört zum Wesen des Menschen, um noch einmal das Eingangszitat Friedrich Schillers aufzugreifen. Ihm, Schiller, haben wir ja gewissermaßen auch den „Homo ludens“ zu verdanken. Im Spiel lernt der Mensch sich selbst kennen, im Spiel entdeckt er die Welt, im Spiel taucht er in andere Rollen ein und erforscht Möglichkeiten des Seins. Das Spiel ermöglicht es, Gewohntes hinter sich zu lassen, nach anderen Gesetzen und Regeln zu handeln, Neues zu entdecken und hervorzubringen. Und das gilt übrigens gleichermaßen für ein Pen & Paper-Rollenspiel wie für eine künstlerische Videoperformance oder ein klassisches Theaterstück. So entsteht seit Jahrtausenden im Spiel und durch das Spiel Kultur.
Im Spiel, meine Damen und Herren, entstehen Kommunikation, gesellschaftliches Miteinander und Gemeinsinn im besten Sinne. Ob die Spieler wie bei „Werwörter“ ein Geheimwort herausfinden müssen, um Werwölfe in die Flucht zu schlagen, ob sie wie in „Just One“ assoziativ Begriffe umschreiben oder wie bei „Detective“ gemeinsam Fälle lösen müssen; das Spielen erfordert das gemeinsame Aushandeln eigener Regeln, es verlangt Verständigung, Kooperationsgeschick und eine versierte Koordination von Hand, Herz und Hirn. Und fast immer belohnt es Empathie. Wer sich einfühlen kann, wer errät, was der andere Spieler plant und denkt, ist klar im Vorteil. Nicht zuletzt deshalb gewinnt in einer zunehmend digitalen Welt, in der Skeptiker dieser Entwicklung einen Verlust der Empathie, des Zuhörens und der direkten Kommunikation beklagen, das analoge Spiel an Bedeutung und Relevanz.
Die Lerneffekte des Spielens sind beachtlich, und es erstaunt mich immer wieder, welchen thematischen Reichtum, wie viel historisches Wissen, wie viele Kulturen, Länder und Fähigkeiten man sich mittlerweile spielerisch erschließen kann.
Während wir in unserer Jugend noch die Städte unserer Nachbarländer mit der „Europareise“ kennen lernten, reisen die Spieler heute mit dem Schiff den Ganges entlang, legen auf Puerto Rico Plantagen an oder bauen auf den Lofoten ein Fischerdorf wieder auf. Und ganz nebenbei und mit großem Vergnügen lernen sie dabei strategisches Denken, sprachliche Präzision, Verhandlungsfähigkeiten, Umgang mit Risiken oder Wahrscheinlichkeitskalkulationen.
Die Welt der Spiele ist also gewissermaßen ein Abbild unserer Zeit und damit auch ein Dokument unserer Kultur. Sie ist komplexer, internationaler und globaler geworden wie unsere Gesellschaft eben auch. Was die Spiele aber über Generationen und Kulturen hinweg verbindet, ist ihre Gemeinschaft stiftende Kraft − jenseits von Status, Bildung und Herkunft, jenseits von Alter und Geschlecht. Spielen fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es lehrt Fähigkeiten, die wir auch über die Brettgrenzen hinaus einsetzen können. Das Spiel erlaubt, einmal einen anderen Charakter anzunehmen, einmal in einem anderen Staat zu leben, einmal Herrscher oder Kanzlerin zu sein. Ob Sie Letzteres können, lässt sich übrigens mit dem Spiel „Machtprobe“ testen. Es gibt offenbar derzeit eine große Nachfrage nach dem Spiel, jedenfalls ist es gerade vergriffen … Auch die diesjährigen nominierten Spiele bieten wieder spannende Möglichkeiten für einen Perspektivwechsel, für aufregende Grenzgänge zwischen Realität und Fiktion. Den nominierten Autorinnen und Autoren und den Gewinnern gratuliere ich bereits jetzt sehr herzlich.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Inspiration und das nötige Glück, das man eben nicht nur im Spiel, sondern auch als Kreative neben Begabung und guten Rahmenbedingungen unbedingt braucht. Alles Gute! Ich bin gespannt, „wie die Würfel fallen“.

Diese Rede hielt Prof. Monika Grütters MdB, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, anlässlich der Preisverleihung „Spiel des Jahres 2019“ am 22. Juli 2019 in Berlin