Empfehlungsliste Kennerspiel des Jahres: The Gang

Poker in Hollywood-Produktionen: Totale auf ein Augenpaar – Schnitt – Totale auf ein anderes Augenpaar – Schnitt – wir sehen, wie Karten aufgefächert werden – Schnitt – eine Augenbraue wird gehoben – Schnitt – mit einer energischen Handbewegung wird ein riesengroßer Haufen an Chips in die Mitte geschoben – Schnitt – Totale auf das erste Augenpaar. Die Spannung knistert, wir halten den Atem an.

Poker in Fernsehübertragungen eines Turniers: Gelangweilt wirkende Endzwanziger, mit überdimensionierten Kopfhören und Sonnenbrille ausgestattet, schauen sich nacheinander ein Paar Karten an und schmeißen diese meist sofort wieder in die Mitte. Wir zappen gewöhnlich weiter.

Diese aufgezeigte Diskrepanz habe ich öfters beim Pokern erlebt. So spannend uns James Bond und Konsorten eine Partie Poker schmackhaft machen wollen, so ernüchternd ist oftmals das eigentliche Spielerlebnis. Denn zum Großteil ist unser Startblatt kein Hit und der einzige Grund, die weiteren Karten abzuwarten, sind die vor uns liegenden Chips. Wenn es beim Pokern nicht um Wetteinsätze ginge, das Spiel würde uns langweilen. Lediglich durch das Hin- und Herschieben der Chips entsteht Spannung und wir beginnen das durchs Bluffen getriebene psychologische Meta-Spiel.
The Gang“ (von John Cooper und Kory Heath, erschienen im Kosmos Verlag) denkt Poker anders. In diesem kooperativen Spiel sind wir die ganze Zeit eingebunden. Trotz minderwertiger Anfangskarten bleibt eine Runde für uns immer interessant. Schließlich lautet das gemeinsame Ziel, unsere Kartenhände in eine richtige Werte-Reihenfolge zu bringen. Wir müssen herausfinden: Wer hat das beste Blatt, wer das schlechteste – und wer reiht sich dazwischen ein?

Das wäre recht reizlos, wenn wir offen über unsere Kartenwerte reden dürften. Dem ist aber natürlich nicht so. Lediglich über das Nehmen von offenen Rangfolgechips geben wir den Anderen Hinweise, wie wir unsere eigenen Karten einschätzen. Und auch hier beobachten wir ein psychologisches Meta-Spiel: Wer nimmt sich wie überzeugt welchen Chip? Wird auf eine Ersteinschätzung bestanden oder wird sich mit einem Tausch zufriedengegeben? Durch nach und nach aufgedeckte Karten ändern sich fortlaufend die Gegebenheiten. War meine Anfangshand eher mies, kann sie auf einmal richtig wertvoll werden. Hatte ich anfangs ein hohes Potenzial, schrumpfte dies mit jeder zusätzlichen offenen Karte.

Benötige ich Vorerfahrung mit Poker, wenn ich „The Gang“ spielen möchte? Unbestreitbar ist es von Vorteil, wenn man die Wertigkeiten der möglichen Kombinationen schon kennt. Allerdings sollte sich niemand ab-schrecken lassen. Einfach mal machen und ausprobieren. Die ersten Versuche können vielleicht kläglich scheitern, aber meist entwickelt sich ein Sog, es beim nächsten Mal besser machen zu wollen. Runde für Runde spielen wir uns als Gruppe ein. Wir lernen, wer eher vorsichtig unterwegs ist und wer eher optimistisch sein Blatt einschätzt. Wir scheitern kolossal und gewinnen episch knapp. Dabei können wir auch den Schwierigkeitsgrad anpassen, der ohnehin durch die Gruppengröße beeinflusst wird. Denn logischerweise wird eine Partie „The Gang“ schwieriger, je mehr Personen mitspielen. Und am Ende erwischen wir uns dabei, wie die Spannung knistert und der Atem stockt, wenn die letzten Karten aufgedeckt werden.

Tobias Franke

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