Berlin 2025: Handwerk, Themen und Produkttests

Der vierte Tag der Brettspielkritik beginnt mit den Worten: „Hi, Sorry“. Das sind die ersten Worte auf der ersten Folie des Keynote-Sprechers Tom Brewster. Brewster ist Chefredakteur des englischsprachigen Youtube- und Podcastkanals „Shut Up & Sit Down“. In diesem Jahr fand die Veranstaltung in der Jugendherberge Ostkreuz in Berlin, im Vorfeld der Preisverleihung zum Kinderspiel, Kennerspiel und Spiel des Jahres statt. Mehr als 100 Teilnehmende und Vortragende nahmen teil.

„Das Wichtigste ist Transparenz“: Tom Brewster, Johanna France und Daniel Wüllner

In Brewsters Keynote geht es nicht um Entschuldigungen – sondern um, selbstverständlich, Brettspielkritik. Brettspiele seien kein statisches Gebilde aus einzelnen Teilen, argumentiert er, sondern etwas, das aus sozialer Interaktion mit den anderen Mitspielenden entstehe – Brettspielkritik müsse genau dies reflektieren. Der Blick müsse aufs Ganze gerichtet sein, nicht auf die einzelnen Teile: „Schaut nicht nach unten auf den Tisch, sondern seht euch um“, lautet Brewsters Fazit.

Der zweite Keynote-Beitrag von Daniel Wüllner, der Brettspielkritiken für die Süddeutsche Zeitung verfasst, ordnet Brettspielkritiken in den Kontext journalistischer Produktion ein. Zwar gäbe es keine Regeln für das Verfassen von Kritiken, argumentiert er, im Gegenteil: „Bitte biegt die Regeln der Kritik“, sagt er. „Euer Ziel ist es, zu unterhalten.“ Dennoch gälten journalistische Standards: Werbung müsse gekennzeichnet werden, Interessenskonflikte offengelegt. Man müsse sich das Vertrauen des Publikums verdienen. „Das Wichtigste ist Transparenz“, stimmt Brewster in der anschließenden Podiumsdiskussion zu. „Wir sind hier“, sagt Wüllner, „um Brettspieljournalismus besser zu machen.“

„Die Vollständigkeit ist der Feind“

Es ist ein Spannungsfeld, das sich die ganzen beiden Tage immer wieder auftut: Wie journalistisch ist Brettspielkritik? Wie wichtig ist es, die Spielmechanik zu beschreiben, die Spielregel, das Material? Wie wichtig sind die Mitspielenden, die Stimmung am Tisch? Wieviel einer Spielekritik ist Produkttest und wieviel Kunst? Die Workshops am ersten Tag bieten unterschiedliche Ansätze dafür: Brewster erklärt noch einmal, wie „Shut Up & Sit Down“ versucht, klickstarke Videos herzustellen. Der Vorsitzende des Spiel des Jahres e.V., Harald Schrapers, erläutert Schritte zu einer fundierten Spielekritik.

„Die Vollständigkeit ist der Feind“: Andreas Becker, Nico Wagner, Manuel Fritsch und Harald Schrapers

Jurymitglied Nico Wagner erklärt den Weg zu einer fokussierten Kritik. Spielejournalist Andreas Becker und Jury-Mitglied Manuel Fritsch erklären die Grundlagen der Interviewführung. Damit steht der Vormittag eher im Zeichen des journalistischen Handwerks, den Abschluss bildet eine Podiumsdiskussion mit Andreas Becker, Harald Schrapers, Nico Wagner und Manuel Fritsch als Moderator. Becker plädiert hier für „mehr journalistischen Mut und Vielfalt“ und fordert Arbeit an der Sprache und mehr „Esprit“ ein. Schrapers meint: „Die Vollständigkeit ist der Feind“, man müsse nicht sämtliche Regeln und Mechaniken eines Spiels beschreiben. Viel eher müsse eine Kritik auch mal jemandem „auf die Füße treten“. Er verlangt den „Mut, auch mal zuzupacken.“ Für ihn geht es in einer Kritik darum, „was kulturell zwischen den Menschen passiert“. Wagner plädiert für einen sorgfältigere Auswahl von kritisierten Spielen: „Wir verpflichten uns zu einem sorgfältigen journalistischen Umgang mit den Rezensionsexemplaren. Was eben manchmal auch heißt: Keine Rezension zu machen.“

„Kooperation ist ein Wert, den wir verteidigen müssen“

Der Nachmittag steht eher im Zeichen der Themen: Es geht mit Michael Conrad, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Konstanz, um die Frage, was gute kooperative Spiele ausmacht, mit der Verlagsinhaberin Samantha Schwickert um Diversity und gerechte Bildsprache in Spielen und mit Cosima Werner, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kiel, um Offenheit und Exklusion in der Brettspielszene. In einem abschließenden Podiumsgespräch treffen die drei, moderiert von Jurymitglied Stephan Kessler, aufeinander.

Für mehr Diversität und Kooperation: Samantha Schwicker, Cosima Werner, Stephan Kessler und Michael Conrad

Die Spieleszene sei, sagt Schwickert dort, nach wie vor stark männlich und weiß dominiert. Diese hätten somit auch die Verantwortung, etwas daran zu ändern. Sie plädiert außerdem für eine diverse Bildsprache in Spielen. Dies finge damit an, sich zunächst einmal die eigenen blinden Flecke vor Augen zu führen: „Es ist Aufgabe der Verleger, sich mit diesen Blind Spots auseinanderzusetzen. Und das ist nicht einfach.“ Für Werner zeige sich die Diversitätsfrage „nicht nur in Sprache und den Kartendarstellungen“. Es gebe viele Baustellen. Für Konrad ist „Kooperation ein Wert, den wir verteidigen müssen“. Harald Schrapers meldet sich in der anschließenden Diskussion mit einem ernüchternden Satz zu Wort: „Ich glaube, das Problembewusstsein ist größer als die Lösungskompetenzen.“

„Ich finde, dass subjektive Spielekritik wichtig ist“

Mit dem Abschlusspanel am nächsten Tag werden die Themen und das Handwerk wieder zusammengeführt. Mit Kaddy Arendt, freie Redakteurin, Lena Burkhardt, Redakteurin bei Ravensburger und Spieleautorin, und Astrid Diesen von der Spielezeitschrift Fairplay wird – moderiert von Jurymitglied Maren Hoffmann – die Frage erörtert, ob es eine objektive Kritik überhaupt geben kann. „Ich kann nicht objektiv sagen: Ein Spiel ist gut oder schlecht“, sagt Lena Burkhardt. Man könne sich aber – durch viel Spielen, vor allem in unterschiedlichen Gruppen – einem Urteil annähern.

„Spiele sollen vor allem Freude bereiten“: Kaddy Arendt, Lena Burkhardt, Maren Hoffmann und Astrid Diesen

Arendt meint: „Ich finde, dass subjektive Spielekritik wichtig ist“. Ähnlich sieht es auch Diesen: „Spiele sollen vor allem Freude bereiten“, meint sie. „Ich sehe uns vor allem als Unterhaltung über Spiele.“ Für sie ist es wichtig, „dass Spiele ins Bewusstsein der Öffentlichkeit kommen.“ Ähnlich sieht es Arendt: „Es ist wichtig, dass wir den Leuten zeigen, dass wir Spaß damit haben.“ Das würde mit minutiösen Regel- und Mechanikerklärungen nicht erreicht. Spielekritiken seien keine „Produkttests“ meint Daniel Wüllner in der anschließenden Publikumsdiskussion. Für Moderation Hoffmann kann es objektive Spielekritik zwar geben, aber nur „wenn es wirklich sachliche Mängel gibt.“ Sie plädiert eher für eine ganzheitliche Betrachtungsweise: „Die eine Hälfte des Spiels ist in der Schachtel, die andere sitzt um den Tisch.“

Videos zum Tag der Brettspielkritik ➜

Jan Fischer

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