Forschung an der Uni Konstanz: Die Geschichte kooperativer Brettspiele

Der Verein Spiel des Jahres setzt seine Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft an der Uni Konstanz fort, die seit 2007 zum Kreis der Exzellenzuniversitäten gehört. Nachdem zwei halbe Stellen als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen ausgelaufen waren, die Promotionsvorhaben dienten, finanziert der Verein seit Ende letzten Jahres die Postdoc-Stelle von Michael A. Conrad. Er ist promovierter Kulturwissenschaftler und widmet sich im Rahmen des von den Professorinnen Beate Ochsner und Isabell Otto geleiteten Konstanzer „Game Lab“ der Erforschung des modernen Brettspiels.

Michael Conrad
Der Verein Spiel des Jahres finanziert universitäre Brettspielforschung: Michael Conrad, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Konstanz, auf dem Tag der Brettspielkritik in Berlin

Spiel des Jahres e.V. unterstützt das „Game Lab“ an der Universität Konstanz

Schwerpunkt von Conrads Habilitationsvorhaben ist das kooperative Gesellschaftsspiel. „Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass kooperative Brettspiele seit einigen Jahren zu den beliebtesten Spiel-Genres gehören“, unterstreicht Michael Conrad. Das spiegelt sich nicht nur in den steigenden Produktionszahlen kooperativer Spiele wider, sondern zeigt sich auch bei den Titeln, die vom Verein Spiel des Jahres ausgezeichnet wurden. Mit „Bomb Busters“, „Sky Team“, „E-Mission“, „Dorfromantik“, „Mysterium Kids“, „MicroMacro“, „Paleo“, „Die Crew“ und „Just One“ gehört seit 2019 ein großer Teil der Siegerspiele zum kooperativen Genre. Auch das aktuelle Kennerspiel des Jahres – „Endavour: Die Tiefsee“ – bietet einen kooperativen Spielmodus.

Diese erstaunliche Entwicklung hat eine längere Vorgeschichte, die Conrad in seinem Forschungsprojekt nachzeichnen möchte. „Sie ist zum einen eng verknüpft mit dem sozialen Problem der Vereinsamung in der Gesellschaft, zum anderen mit den reformpädagogischen und alternativkulturellen Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere im Zusammenhang mit den Bürgerrechts- und Friedensbewegungen“, so Conrad. Diese hätten einen Gegenakzent zur „konkurrenzgetriebenen und in dieser Hinsicht als eskalativ empfundenen Welt- und Wirtschaftsordnung“ setzen wollen. „Das erklärt auch die Entwicklung neuer kooperativer Spielformen in den 1960ern mit einem ersten Höhepunkt in den 1980er Jahren“, erläutert der Konstanzer Wissenschaftler.

Sauerbaum
„Sauerbaum“: Urvater des kooperativen Brettspiels

„Neu an kooperativen Brettspielen ist dabei der Einbezug von Elementen, die sonst nicht als Teil des Spielgeschehens galten“, sagt Conrad. Dazu zählen beispielsweise offene Gruppendiskussionen um den bestmöglichen nächsten Zug. Damit verknüpft seien utopische Vorstellungen sowie Hoffnungen auf eine Welt mit weniger Konkurrenz und mehr konstruktiver Zusammenarbeit. Diese könnten zur Übung demokratischer Kultur beitragen, im Bewusstsein, dass große globale Herausforderungen nur durch internationale Kooperation gemeistert werden können. „Davon zeugt etwa auch das Brettspiel ,Sauerbaum‘, das sich mit dem ökologischen Problem des ‚sauren Regens‘ auseinandersetzt und das im Jahr 1988 als erstes kooperatives Spiel von der Jury Spiel des Jahres mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurde.“

Spiel des Jahres: viele Siegerspiele gehören zum Genre des kooperativen Spiels

Der gegenwärtige Erfolg kooperativer Spiele wurzelt laut Conrad somit in einer basisdemokratischen Grundhaltung, die angesichts des weltweiten Erstarkens autoritärer Kräfte noch relevanter werden könnte. „Sie verdeutlichen die Wichtigkeit der Zusammenarbeit in einer unübersichtlichen Welt, verstärken Vertrauen zwischen den Menschen und verringern damit Ohnmachtsgefühle angesichts übergroß wirkender globaler Herausforderungen: Nur gemeinsam sind wir stark!“ Dem zugrunde liege das Bedürfnis nach positiven Gemeinschaftserfahrungen, das jedoch mit einer immer weiter um sich greifenden Vereinsamung in der Gesellschaft korreliert, die inzwischen alle Altersklassen betrifft – auch junge Menschen. „Einen Beitrag dazu leisten digitalisierte Kommunikationsformen, welche zwar das Potenzial haben, alle Menschen miteinander zu verbinden, durch die unmittelbare soziale Kontakte im Alltag jedoch immer seltener werden. Damit tragen sie zu der allgemeinen Erosion gelebter Gemeinschaftsformen in der Gesellschaft bei. Demgegenüber bringen kooperative Brettspiele Menschen am Tisch zusammen und schaffen positive Gemeinschaftserlebnisse“, meint Michael Conrad.

Das Spiel des Jahres 2025 „Bomb Busters“: kooperatives Spielen heute

Vor dem Hintergrund dieser historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen spitzt sich Conrads Forschungsfrage weiter zu: „Wie schaffen es die Spielmechaniken kooperativer Spiele, eine Umgebung zu schaffen, die Spieler zu kooperativem Handeln motiviert? Und wie gelingt es, dass sie außerdem Spaß machen?“ Hier gebe es einen Berührungspunkt zu mathematischen Modellen der Spiel- und Sozialwahltheorie. Diese beschäftigten sich beispielsweise damit, welche Wahlformen sich am besten für Gruppenentscheidungen eignen oder welchen Mehrwert kooperatives Verhalten gegenüber kompetitivem Verhalten grundsätzlich hat, erläutert Conrad.

Michael Conrad: Spiel als Gegenentwurf zu vereinsamenden Tendenz in der Gesellschaft

„Von hier aus lässt sich weiter fragen, inwiefern kooperative Brettspiele einen Gegenentwurf zu vereinsamenden und überkompetitiven Tendenzen in der Gesellschaft darstellen und ob sie helfen können, diesen destabilisierenden Entwicklungen entgegenzuwirken.“ Michael Conrads optimistische Hypothese lautet: „Ja, das ist möglich und hat damit zu tun, dass eine zentrale Qualität von Brettspielen gerade darin liegt, reichhaltige soziale Verbindungen zwischen Spielern in Echtzeit herzustellen, und dass bei diesen Spielen das gemeinsame Handeln im Zentrum steht. Eine Besonderheit von kooperativen Brettspielen ist dabei nicht nur, dass sie uns dazu anregen, mit anderen gemeinsam zu handeln, sondern dass die Mitspieler, die uns auf unserer Reise begleiten, eine zusätzliche Außenperspektive bieten, mit der wir besser über unsere Entscheidungen nachdenken können.“ Dadurch übernähmen die Spielenden Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze Gruppe. Das ermögliche ihnen, ihre Sozialkompetenzen und kommunikativen Fähigkeiten zu verbessern. Dieser Einbezug der Mitspieler:innen – ihrer Absichten sowie Wünsche – mache kooperative Spiele zwar „manchmal um einiges komplizierter, ungewisser und offener – aber gerade darin besteht auch ihr großer Reiz“, betont Michael Conrad.

Harald Schrapers

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