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Bericht über das Spielautoren-Stipendium 2005

Spielautoren-Stipendium 2005 an Sébastien Pauchon

Am 3. und 4. Juni 2005 war es eine tolle Überraschung für mich, der 10. Stipendiat dieses Stipendiums zu werden. Was besonders schön war, da der 4. Juni mein Geburtstag ist! Ein Jahr später bin ich nun mit den ersten drei Praktika fertig. Das letzte, das im Spieleladen „Spiele-Burg“ in Göttingen vorgesehen war, werde ich ein wenig abändern. Hier also mein Bericht von diesen drei Wochen bei diversen Profis.

1. Station: Zoch-Verlag, München

Das Überraschendste für mich war die geringe Anzahl an Mitarbeitern in einer Firma, die schlussendlich grösser ist, als man denken könnte. Zoch wird, unter den vorgeschlagenen Praktikumsorten, als „kleiner“ Verlag vorgestellt. Natürlich ist fast jeder Verlag klein, wenn man ihn mit dem „blauen Riesen“ Ravensburger vergleicht. Aber Zoch, wie wir wissen, hat seit dem Jahr 2000 eine ganz schöne Sammlung von Preisen und Nominierungen, unter anderem den Kritikerpreis Spiel des Jahres 2002 für VILLA PALETTI und 2005 für NIAGARA. Kann man da noch von „klein“ reden? Wohl kaum!
Also, hier bin ich das erste Mal in München. Wie üblich geht man aus dem Bahnhof, sucht sein Hotel, nimmt man zweimal die falsche Straße und schlussendlich ist man doch am richtigen Ort. Dann ab zur Briennerstrasse 54.

Der Empfang ist sehr freundlich und man spürt tatsächlich, dieser Verlag funktioniert wie eine Familie, unter der Führung von Albrecht Werstein, Geschäftsführer und Redakteur. In Büros, die diesen Eindruck verstärken, da sie sich in einer Wohnung mit fünf bis sechs Räumen befinden.

Zum Anfang eine schnelle Führung von Andreas (einer der drei Redakteure), der mich allen vorstellt. Danach fühlt man sich ganz schnell zuhause. Es wird mir ein leerer Bürotisch vorgeschlagen, wo ich meinen Laptop und meine Sachen einrichten kann, im gleichen Raum wie Andreas, Walter (Redaktion und Produktion) und Oliver (Grafik und Konzeption).

Während der Woche konnte ich an allem teilnehmen: Spiel- und Testabend am Montag; Spielregel-Redaktion mit den drei Redakteuren (für DSCHAMAL, damals in der Entwicklung); Grafische Gestaltung für Cover (DICKE LUFT IN DER GRUFT-Erweiterung, LOS MAMPFOS); Gespräch mit einem Brettspielwelt-Verantwortlichen; Gespräche über Vertrieb, eBay, den Markt, usw.
Und, was ja witzig ist, eine TV-Sendung über NIAGARA, das gerade zum Spiel des Jahres gewählt worden war. Ich bin also irgendwann im Bayerischen Fernsehen gewesen, obwohl ich die Sendung nie gesehen habe!

Also einiges in nur fünf Tagen… München, das habe ich erst erfahren, als ich dort war (!), ist auch die Stadt eines anderen Verlages, der auch sehr bekannt ist: Hans im Glück. Da sich alle gut kennen und da die Beziehungen zwischen den meisten Leuten in diesem Wirtschaftsbereich sehr locker scheinen (ich kenne natürlich nicht alles und alle) brauchte Walter nur ein Telefonat mit Dirk Geilenkeuser zu machen, um mir einen Termin am Donnerstag-Nachmittag bei HiG zu organisieren. Die Idee war, mal schnell reinzugucken, ein Paar Fotos und tschüss.

Hans im Glück-Verlag, München

Da war ich noch mehr überrascht: Nicht nur bestehen die Büros aus einem einzigen großen Zimmer, unter dem ein relativ kleines Lager liegt. Aber dazu arbeiten sie dort nur zu dritt! Bernd Brunnhofer, der Inhaber, hat sich so organisiert, dass der ganze Vertrieb durch Schmidt gemacht wird. Dadurch sind drei Personen genug, um sich um die Entwicklung der Spiele zu kümmern, inklusive Design usw. und hopp, auf den Weg zum Erfolg.

Als ich ankam, waren gerade ein Autor und seine Frau Karen am Tisch, mit eben Bernd, Dirk und Georg Wild. Ich werde vorgestellt und lasse sie dann fertig arbeiten – sie testen gerade ein Spiel.

 Währenddessen mache ich ein Paar Fotos. Dann werde ich zum Tisch eingeladen. Der Autor stellt sich als Leo Seyfarth vor, und wir fangen an, eins von seinen Spielen zu testen.

Da es ein Zweier-Spiel ist, schlägt mir Bernd vor, gegen ihn zu spielen, was ich natürlich gerne mache. Während wir uns unterhalten, frage ich Leo nach seinem ganzen Namen (ich hatte vielleicht Leonard im Sinn, oder so was). Er erklärt mir Leo sei ein Spitzname, er heißt eigentlich Andreas. Da brauche ich eine volle halbe Minute, um den Zusammenhang mit seinem Nachnamen zu merken. Aber endlich macht es Klick: Andreas Seyfarth, Herr PUERTO RICO. Na ja, gewisse Leute überlegen langsamer als andere… Tja, das ist auch wieder eine Überraschung! Ich halte sein Spiel für das beste in diesem Genre und kann ihm endlich herzlich gratulieren. Cool. Danach erwartet mich ein ganzer Nachmittag mit Testen und Lachen, bei dem man die Motivation von allen spüren konnte: die Leidenschaft am Spielen.

Schließlich habe ich mich noch eine Stunde mit Bernd unterhalten können, in der wir vieles besprechen konnten, unter anderem auch über RASENDE ROBOTER (wie kann man sich überhaupt unterhalten, ohne RASENDE ROBOTER zu erwähnen?). Um 20 Uhr haben wir uns in sehr guter Stimmung getrennt. Bernd ist ja seit ewig in der Szene, es ist spannend ihm zu zuhören, und dazu ist er noch extrem nett. Was für ein ein toller Tag!

Am Freitag: Rückfahrt in die Schweiz mit dem Zug. Sieben Stunden, während denen ich die ganze Woche verdauen konnte. Und es gab einiges! Ein erstes, sehr gelungenes Praktikum.

2. Station: Deutsches Spiele-Archiv, Marburg

Ich muss es sofort zugeben, anders wie andere Stipendiaten vor mir war ich nicht besonders gespannt, nach Marburg zu fahren, um eine Woche zwischen Regalen zu verbringen. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte den komischen Eindruck, es würde die Art von Besuch sein, wo man sich nach zwei Stunden fragt: „Na, ja, und jetzt?“ Ich bin leider der Typ, der sich in Kirchen, Museen oder Orten die Richtung Vergangenheit schauen, langweilt. Ich lerne lieber von einer Kultur durch die Einwohner, die Sprache oder dem lokalen Brauch, aber für archäologische Standorte habe ich wenig Interesse. Sogar das Versprechen von so vielen Spielen war nicht genug um meine Stimmung zu erhöhen. Selten lag ich so falsch!

Ankunft in Marburg, Taxi zum Hotel (diesmal habe ich es verstanden, so geht es schneller), und ab ins Archiv. Im Archiv wird man von René Aden empfangen. Um ihn in Kürze zu beschreiben kann man sagen, dass er mit Leidenschaft erfüllt ist, sehr hilfsbereit ist, und dass er ganz einfach alles weiß. Nach einer kurzen Führung und der Überreichung des alles-öffnenden Schlüssels fragt mich René´, wie ich meine Woche organisieren möchte. Ah. Gute Frage, auf der ich keine Antwort habe, da ich daran nicht gedacht habe. Hmm, mal schauen. Schlussendlich lasse ich mich von meiner Neugierde führen. Man entdeckt dann eine Menge von Ecken und Eckchen mit von Presse-Artikeln gefüllten Ordnern, über hunderte von Autoren, Zeitschriften wie die Spielbox, oft ab N°1, eine Bibliothek voll Bücher über Spiele, einen Raum voll elektronischer Saurierer wie Videopac, Vectrex oder noch ein STRATEGO-Computer.

Und, natürlich, die Spiele. Wie es Wolfgang in seinem Bericht schreibt, scheint jede „normale“ private Sammlung (ich habe persönlich über 550 Spiele) sehr gering im Vergleich zum Archiv. Ja, darum ist es ja ein Archiv, aber trotzdem, es ist schon beeindruckend. Man findet nämlich alles, oder fast alles… Obwohl das Archiv sich auf Spiele ab 1945 konzentriert, die meisten auf deutsch, findet man doch über 30.000 Schachteln. Natürlich gibt es noch viele weitere Spiele, wie zum Beispiel die aus Amerika (hunderte davon konnte ich mir anschauen; als wir die Austellung AMERICANOPOLY im schweizerischen Spielmuseum aufbauten), aber man kann trotzdem vernünftig behaupten, das Archiv in Marburg sei sehr komplett.

 Also lasse ich mich von meiner Neugierde führen. Zuerst mal die Neuheiten. Neuheiten für Kinder- und Erwachsene sind getrennt und bestehen beide aus einer ganzen Wand! Schon das ist für einen Freak wie mich ziemlich spannend.

Da ich meinen Fotoapparat dabei habe, beschliesse ich; die Gelegenheit auszunutzen, um ältere Cover von Kollektionen wie die mythischen 3M-Spiele zu fotografieren. Das leitet mich zum Werk von Alex Randolph, da er ja schon damals dabei war. Dank René natürlich, der mir eine Liste aller seiner Spiele drucken lässt, beginne ich alle Spiele dieses einmaligen Autors zu suchen und zu fotografieren, und dessen Regeln durchzulesen, die ja so oft einfach, kurz und wirklich genial sind.

Da hat für mich das echte Tauchen im Archiv angefangen, und ich habe dann Stunden zwischen den Regalen verbracht, ein paar Mal sogar bis spät am Abend, und habe mittlerweile hunderte von Schachteln angeschaut, geöffnet und durchsucht. Der Eindruck auf einen jungen Autor ist doppelseitig: auf der eine Seite scheint alles schon erfunden geworden zu sein, was hart anzunehmen sein kann. Aber auf der andere Seite sieht man, dass die Kreativität eigentlich grenzenlos ist, und das ist motivierend. Ausserdem fand am Dienstag ein Spielabend im Archiv statt mit über 30 Spielern. Ich hatte da die Gelegenheit, mich mit Jury-Mitglied Stefan Ducksch zu unterhalten, der gerade eine paar Tage mit seiner Freundin im Archiv war, um alle Cover der Spiele des Jahres, prämierte und nominierte, zu fotografieren. Zudem konnte ich ihm noch ein paar Prototypen auf dem Tisch legen, was immer interessant ist, mit fremden Spielern, die nicht zur gewöhnlichen Testgruppe gehören.

Man kann aber nicht vom Archiv sprechen, ohne Bernward Thole zu erwähnen, der die Seele dieses Unternehmens ist. Gründer des Archiv (1985) und Mitbegründer des Kritikerpreises (1979). Bernward ist wieder eine spannende Person zum Kennenlernen; eine echte Info- und Anekdoten-Quelle, der schon in der Szene war, als ich nicht mal geboren war (!) und der mit 70 Jahren immer noch aktiv ist. Spielen muss wohl eine Aktivität sein, die einen bewahrt, denn wenn man ihn anschaut mit seiner geistigen Schnelligkeit, seiner Begeisterung und seiner endlosen Beschäftigung mit der Fachbranche, könnte man ihm leicht 20 Jahre weniger geben. Eine charmante Begegnung!

Die Woche war also vorbei in einem Augenblick, Dank eben Bernward, René und Raimund, und ich kann jeder Person, die sich mit Spielen beschäftigt nur empfehlen, mal das Archiv zu besuchen! Ich zum Beispiel werde mich mit meinem Geschäftspartner Malcolm Braff auf dem Weg nach Göttingen nochmals kurz anhalten, denn er muss das unbedingt gesehen haben. Jetzt verstehe ich Archäologen irgendwie besser.

3. Station: Ravensburger-Verlag, Ravensburg

Noch ein höchst interessantes Praktikum. Clemens Türck und Rita Weber haben mir ein Programm für die ganze Woche auf die Beine gestellt, das aus Gesprächen mit Mitarbeitern aus verschiedenen Sektoren bestand. So habe ich die Gelegenheit gehabt jedesmal eine volle Stunde mit Herrn Kujawa (Herstellung), Herrn Reiferscheid (Produktentwicklung), Tom Ring (Designentwicklung – und Autor von GRAN!) und Herrn Einholz (Archiv/Verlagsmuseum) zu sprechen. Ich möchte mich hier recht herzlich für ihre Zeit bedanken, trotz überlasteter Terminbücher.

Ich konnte auch an einer Tour durch die Fabrik teilnehmen, zusammen mit einer anderen Gruppe. Da sieht man einen anderen faszinierenden Aspekt der Entwicklung eines Spieles. Wirklich interessant.Den Rest der Woche habe ich mit den Redakteuren verbracht, die mehr oder weniger alle am gleichen Ort zu finden sind. Da findet man die Redakteure für Lernspiele, Kinderspiele, Lizenzspiele und Brettspiele, was jeweils eine andere Abteilung ist. So spürt man auch, wie gigantisch Ravenburger ist, wenn man sich alle verschiedenen Projekte anschaut. Das ganze war sehr lehrreich, aber auch bereichernd, da ich in allen oben erwähnten Sektoren mitmachen durfte und auch meine Meinung – über Design, Mechanismen, Regeln, usw.- sagen konnte.

Auch am Abend wurde ich nicht vergessen und konnte so an einer Testrunde bei Clemens mitmachen, an einem Spielabend in der Nachbar-Stadt teilnehemen und mit den Redakteuren und Volontären ausgehen.

Nur am Donnerstagabend war nichts geplant, und darüber beklage ich mich nicht, da ich schon um 21.30 Uhr (!) erschöpft einschlief! Unter der Woche haben sich die Brettspiel-Redakteure, also Clemens, Lothar und Philipp, Zeit genommen, alle meine mitgebrachten Prototypen zu testen. Dabei haben sie einen behalten wollen, den ich mit Bruno Cathala und Malcolm entwickelt habe. Da kann man sich ja nur freuen! Mal schauen, was die Zukunft uns bringt.

Danke an alle für den Empfang und die Zeit, und ich kann auch künftigen Stipendiaten sagen, dass sie sich auf ihren Aufenthalt bei Ravenburger freuen können.

 

4. Station: Spieleladen

Geplant war, eine Woche bei Arne von der „Spieleburg“ in Göttingen mitzumachen. Stattdessen habe ich mir überlegt, es sei interessanter, mal einige schweizerische Läden vorzustellen und diese noch einen Fragenbogen beantworten zu lassen. Die meisten, die diese Zeilen lesen, sind ja aus Deutschland, und Euren Markt kennt Ihr bestimmt. Aber wie sieht es aus beim kleinen (winzigen?) Nachbarn? Von meiner Seite aus ist der Fragebogen fertig, aber ich muss noch ein Paar Termine vereinbaren. Das Ganze werde ich also in einem späteren Bericht vorstellen.

Bilanz ein Jahr später

Zusammen mit dem Preis von dem Boulogne-Billancourt-Wettbewerb für mein Spiel CALIFE ET MARCHANDS ist dieses Stipendium bis jetzt wahrscheinlich die größte Gelegenheit meiner (ganz frischen) Karriere, die mir zahlreiche Türen geöffnet hat. Vor einem Jahr kannte mich niemand, und plötzlich ist mein Namen doch nicht mehr so fremd. Ich konnte folgendermassen vom Stipendium profitieren:

Im September 2005 fokussierte sich die Presse (aus welchem Grund weiß ich nicht) auf meine zwei Auszeichnungen und Berichte über mich sind mehrmals in den größten Zeitungen erschienen; zweimal bin ich ins Radio und sogar zu einer TV-Sendung eingeladen worden.
All das ermöglichte es, das erste Autorentreffen im schweizerischen Spielmuseum (am Genfer See) zu organisieren, was ein echter Erfolg war.

Ich habe, zusammen mit Malcolm „GameWorks“ gegründet, eine Spiel-Entwicklungs-Firma für private Kunden mit der, Dank dem medienmässigen Highlight und mit der Hilfe von Bruno Cathala, wir schon am fünften Werbespiel arbeiten.
Ich konnte in Essen 2005 acht verschiedene Prototypen bei Verlagen lassen, und obwohl seitdem ein Teil davon negativ bewertet zurückgekommen ist, habe ich den klaren Eindruck gehabt, mein Name ist schon bei vielen bekannt, was die Kontakte extrem vereinfacht.

Die Praktika bei Zoch und Ravenburger, und dazu meine Erfahrung als Grafiker und Verleger (mit meinem Billard-Buch) sind eine wertvolle Hilfe bei unseren heutigen Projekten.
Ich habe den Eindruck, schon nach ganz kurzer Zeit, „dabei zu sein“, was sehr motivierend und bereichernd ist.
Ich hatte mich natürlich schon auf der Bühne in Göttingen bedankt, aber es war mir damals nicht ganz bewusst, wie groß die Auswirkung dieser Auszeichnung seine würde. Deshalb möchte ich mich hier nochmals bedanken, aber diesmal mit vollem Bewusstsein. Merci!

Ich hoffe die Werbung, die ich ständig bei den Schweizern und Franzosen mache, wird etwas bringen. Viele Autoren kennen Göttingen einfach nicht, vor allem die Nicht-Deutschsprachigen, die es dazu eh nicht wagen, an solchen Events teilzunehemen, wegen schwacher Sprachkenntnisse. Immer wieder sage ich das gleiche: die meisten Leute können sehr gut Englisch, ein paar sogar noch Französisch und vor allem alle reden die gleiche Esperanto-Sprache: Spielen!