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Kritikenrundschau: Cryptid – Nessi und das Logikrätsel

Ein verwaschenes Foto, eine körnige Filmaufnahme: Die Kryptozoologie hat es nicht leicht. Rar und mehrdeutig sind die Hinweise auf die fantastischen Tierwesen und wo sie zu finden sind. Auch in „Cryptid“ gehen die Spieler:innen auf die Suche nach Wesen à la Wolpertinger, Big Foot und Nessi. Das Deduktionsspiel von Hal Duncan und Ruth Veevers ist bei Osprey Games und Skellig Games erschienen.

„Auf einer Fläche von 108 Sechsecken versteckt sich ein mythologisches Wesen. Wer dessen Aufenthaltsort zuerst findet, gewinnt das Spiel“, erklärt Tim Koch das Spiel. „Das Problem an der Sache: Jeder von uns verfügt nur über ein paar rudimentäre Informationen über den genauen Lebensraum. Denn zusammen mit dem Aufbau bekommt jeder Spieler eine Nummer und sucht sich den passenden Eintrag in seinem persönlichen Hinweisbuch heraus. So erfahre ich etwa, dass das gesuchte Habitat im oder am Wasser zu finden ist. Das grenzt die Sache zwar durchaus ein, zum Raten bleiben aber entschieden zu viele Möglichkeiten. Um der Lösung näher zu kommen, befragen wir reihum einen Mitspieler. Dazu wird schlicht auf ein Feld gezeigt und der Befragte muss wahrheitsgemäß antworten, ob sich das Wesen gemäß seiner persönlichen Information auf dem Feld befinden kann. Bei ‚Ja‘ wird eine Scheibe gelegt, ein ‚Nein‘ resultiert in einem Würfel.“

„Cryptid“ erfordere, so Koch, einiges an „Gehirnakrobatik“. Es dauere eine Weile, bis man sich eingespielt hätte. „Ab diesem Moment nimmt Cryptid spürbar an Fahrt auf. Am Tisch kommt nun eine fast greifbare Spannung auf. Überlegungen werden angestellt, Felder ins Auge gefasst und wieder verworfen. Jeder neue Hinweis wird herbeigesehnt, die Möglichkeiten nach und nach eingegrenzt. Kurz vor Ende schmerzt jede ungeschickte Frage.“ Das Spiel „brilliert“, stellt Koch fest.¹

Man müsse „viele Informationen gleichzeitig im Kopf verarbeiten und so verketten, dass dabei eine sinnvolle Information herauskommt“, sagt Julia Zerlik zu „Cryptid“. „Wer so was mag, wird dieses Spiel lieben.“ Die Leistung der Autoren sei hier herausragend – es gäbe für jedes Szenario mit jeder Spieler:innenanzahl eine eindeutige Lösung. „Wir haben es wirklich oft gespielt, und es war nicht ein Fehler drin. Das ist Wahnsinn.“ Das Spiel käme „unscheinbar“ daher. „Es lebt davon, dass viel im Kopf passiert. Ein tolles Spiel, ein Deduktionsspiel in Reinform“, unterstreicht Zerlik. „Ich liebe es.“²

Auch Christoph Schlewinski und Manuel Fritsch gehen als dynamisches Forscherduo auf Kryptidenjagd. „Elegant“ sei das Spiel in seiner Einfachheit, sagt Fritsch. „Wie komplexe Gedankengänge daraus entstehen können, das ist eine mathematische Meisterleistung.“ Es sei „jedes Mal neu und aufregend.“
Schlewinski unterstützt das Lob gerne: Es sei zwar nicht einfach zu erklären, aber: „Wenn man Deduktionsspiele mag, muss man sich ‚Cryptid‘ auf jeden Fall angucken“, sagt er. Für ihn ist das Spiel „intelligent, anspruchsvoll, komplex, ohne kompliziert zu sein, und unbedingt empfehlenswert.“³

Als weiteres Podcast-Forscherduo sind Nico Wagner und Stephan Kessler unterwegs. Für Wagner ist „Cryptid“ „die Essenz eines Deduktionsspiels, minimalistisch und reduziert.“ Es sei wichtig, die Spielgruppe vor dem Spiel richtig zu „briefen“: Es müsse aufgepasst werden und alles richtig hingelegt werden, sonst gibt es im Spiel keine Lösung. Insgesamt gefällt Wagner das Spiel sehr gut. „Das hat so viele coole Schichten, für mich ist es nach mehreren Partien immer noch ein Highlight“, sagt er.
Kessler kann sich dem Lob anschließen: „Cryptid“ sei „Deduktion pur, deswegen mag ich das. Ich habe das Gefühl, ich bin immer dabei, denn auch, wenn die anderen etwas legen, passe ich genau auf.“ Allerdings sei das Spiel „fehleranfällig“ – sobald ein Spieler einen Fehler mache, könne keine Lösung mehr gefunden werden. Das sei in seinen Spielrunden mehrfach passiert. Dass es in dem Spiel um die Suche nach Kryptiden geht, versteht Kessler eher nicht. Für ihn wäre es besser gewesen, als Thema beispielsweise „Schatzsuche“ zu nehmen. „Ein Schatz kann ja nur an einem Ort sein, da muss ich ja gar nicht mehr erklären, dass es nicht zwei Felder sein können.“ Außerdem könnten mache Felder und Symbole sehr leicht verwechselt werden. Darüber hinaus ist es aber auch für Kessler ein „megagutes“ Spiel.

Auch Harald Schrapers findet den Einstieg in „Cryptid“ schwierig. „Man darf außerhalb des Notwendigen nichts sagen. Also kann man kaum Regelnachfragen stellen, ohne sich zu verraten, und die Mitspielerinnen können einen auch nicht auf Fehler und Missverständnisse aufmerksam machen.“ Die Spielregel sei hier wenig hilfreich: „Die Bezeichnungen sind entweder ungelenk – warum heißen Hinkelsteine und Hütten ‚Struktur‘? – oder undeutlich symbolisiert – Bär und Puma sind kaum zu unterscheiden.“ Die zugehörige App sei außerdem nicht auf Deutsch verfügbar.
Dennoch findet Schrapers das Spiel grundsätzlich gut: „Abseits von den Einstiegsproblemen ist die spielerische Faszination bei mir bislang ungebrochen“, schreibt er. „Obwohl ich mir – was ich eigentlich nicht mag, aber hier tatsächlich erlaubt ist – mittlerweile Notizen während einer Partie mache. Gerade in größeren Runden hilft es mir, meinen Verdacht, wo meine Mitspielerin das ,Cryptid‘ vermutet, zu notieren. Dann muss ich nicht jedes Mal meine Gedanken neu sortieren, wenn ich einen weiteren Hinweis bekomme. Solange niemand mit vollständigen Tabellenübersichten versucht, für die Lösung einen womöglich mathematisch perfekten Weg zu finden, gefällt mir das Spiel. Denn dann bleibt Spielraum für Intuition, was bei der Suche nach einem Fabelwesen unverzichtbar sein sollte.“

Auch in unserem Podcast ➜ war „Cryptid“ Thema.

¹ Spielfreu(n)de: Cryptid
² Spiel doch mal…: Cryptid
³ Insert Moin: Le Brett vom 5.7.2021 (kostenpflichtig)
Brettagoge: Vertiefungsstunde #175
games we play: Cryptid