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Hase und Igel

Hase und Igel

HASE UND IGEL hat den berühmten Wettlauf des Langsamen gegen den Voreiligen als Hintergrund, wie ihn bereits die Fabel des alten Äsop (Hase und Schildkröte) oder hierzulande das Grimm’sche Märchen erzählt. Der Autor, der Engländer David Parlett, Lehrer an einem englischen College, nahm diese Geschichte auf, gab ihr allerdings einen eigenen Akzent. Jeder Spieler ist hier nämlich Hase und Igel zugleich. Er muss mit seiner Figur so schnell laufen wie der Hase und dabei sogleich so klug sein wie der Igel, denn sonst kommt er nie und nimmer als Erster ins Ziel. Allerdings ist dies leicht gesagt als dann während des Spiels getan.

Alle Spieler bekommen zu Beginn den gleichen Grundvorrat an Karotten und Salat (in Form von Karten), sozusagen als erste Marschverpflegung. Jeder Schritt auf dem Spielfeld verbraucht – wie im Leben – Kalorien, sprich: Karotten. Will man seinen Igel-Hasen nur ein Feld weiterrücken, bezahlt man eine Karotte, bei zwei Feldern bereits drei, bei drei Feldern sechs Karotten – und so weiter. Je schneller (beziehungsweise weiter) man also in einem Zug saust, desto mehr Karotten werden verbraucht. Praktischerweise hat jeder Spieler eine Rennkarte vor sich, aus der er schnell ablesen kann, wie viele Karotten er für welche Entfernung investieren muss. Wer die Zahl der Felder bis zum Ziel auszählt und auf seiner Karte nachschaut, stellt sehr schnell fest, dass er mit dem Grundvorrat, der ihm bei Spielbeginn zugeteilt wird, auf keinen Fall in einem Rutsch bis ins Ziel kommt. Also muss man unterwegs ständig Karotten hamstern.

Man bekommt sie zunächst einmal auf den Karotten-Feldern: Wer darauf hockenbleibt, also einmal aussetzt, bekommt zehn kostenlose Möhrchen. Oder man setzt sich auf eines der Zahlenfelder und legt die Ohren an. Ist man wieder an der Reihe und liegt tatsächlich an der Position im Feld der rennenden Igel-Hasen, die seiner Zahl entspricht, gibt es reiche Ernte: zehnmal so viele Karotten, wie das Feld anzeigt. Noch risikoloser ist es, sich einfach wieder zurückfallen zu lassen. Dann bekommt man pro Feld wiederum zehn Karotten, also erheblich mehr, als man zuvor beim Vorrücken bezahlen musste.

In Zielnähe heißt es allerdings höllisch aufpassen. Schleppt man zu viele Karotten mit sich herum, passt man nicht mehr durch das letzte Gartentörchen. Der erste Spieler darf dort nämlich nur noch ganz zehn Karotten unter dem Arm haben, der zweite zwanzig, der dritte dreißig und so weiter. Und jetzt ergeben sich ganz neue Schwierigkeiten: Wie wird man die überzähligen Karotten wieder los? Ein Problem, das immer drängender wird, je näher die Mitspieler heranrücken. Und um noch einen draufzusetzen, ist ja auch noch Salat im Spiel. Die zugeteilten drei Köpfe müssen allerdings bis zum Ziel aufgemümmelt sein. Da kennt die Spielregel keinen Kompromiss. Also hockt man sich auf ein Salatfeld, verzichtet das nächste Mal auf das Weiterziehen und gibt dafür einen Salatkopf ab. Dummerweise kann man aber auf einem Salatfeld immer nur einen Kopf loswerden und muss dann weiterziehen zum nächsten Salatfeld.

Seinen besonderen Reiz und seine besondere Spannung bekommt das Spiel durch den ständigen Tempowechsel. Mal passiert gar nichts, belauern sich alle und mümmeln so vor sich hin. Dann wieder lässt sich ein Spieler aus taktischen Erwägungen auffällig weit zurückfallen und hortet ungeheure Karottenberge. Oder ein anderer prescht plötzlich unter Einsatz seines geamten Karottenvorrats wie ein Wilder nach vorne. Immer wieder muss die Position im Feld neu ausgesteuert, müssen die eigenen Chancen und die der Mitspieler neu abgeschätzt werden. Gut dran ist, wer sich ungefähr merken kann, wieviel Karotten und wieviel Salat die einzelnen Konkurrenten noch haben.

Auf den ersten Blick mutet HASE UND IGEL recht harmlos an, wie ein Kinderspiel. Ein Eindruck, den die etwas liebliche Grafik der Ravensburger-Ausgabe noch stützte. Im Spiel stellt es die verblüfften Spieler schnell vor Probleme, verlangt kluges Disponieren und Taktieren in jeder Phase. Dem Autor David Parlett kann man bescheinigen, dass er sein Ziel geradezu genial erreicht hat, ein Rennspiel zu entwickeln, bei dem der Würfel, also der Glücksfaktor, überhaupt keine Rolle spielt. In England war das Spiel in etwas anderer Version übrigens schon Jahre vorher ein echter Hit. Es läuft dort unverdrossen auch heute noch unter dem Titel HARE AND TORTOISE, also Hase und Schildkröte, was der angelsächsischen wie der romanischen Überlieferung der uralten Fabel entspricht.