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Mü & mehr

Mü & mehr

Das Kartenspiel TICHU brauchte ziemlich lange, bis es sich vom unbekannten Außenseiter zu einer Art Kultspiel für Insider der Spieleszene gemausert hatte. Ein Kartenspiel mit dem nicht sonderlich aussagekräftigen Namen MÜ & MEHR ist auf gutem Weg, ebenfalls zum Geheimtipp der Insider zu werden. MÜ hat mit TICHU gemein, dass man es besser nicht durch das Studium der Regeln erlernen, sondern sich von jemandem zeigen lassen sollte. Wie bei TICHU findet man allerdings so gut wie nie einen Spieler, der dazu in der Lage ist. Also muss man sich doch tapfer durch die Regeln beißen. Das ist nur deshalb etwas anstrengend, weil MÜ nicht irgendwelchen platten Vorbildern nachläuft. MÜ ist ein originelles Stichspiel eigener Art.

MÜ ist laut Schachtelaufdruck für drei bis sechs Spieler vorgesehen. Am besten läuft es zu viert oder zu fünft; vom Dreierspiel ist abzuraten. Zunächst werden die Karten vollständig unten den Spieler verteilt. Es gibt fünf verschiedene Farben mit den Zahlenwerten von 0 bis 10. In jeder Farbe gibt es die 1 und die 7 doppelt. Bevor das eigentlich Kartenspiel beginnt, findet erst einmal eine Auktion statt. Im Kreis herum kann jeder Spieler eine oder mehrere Karten offen vor sich auslegen. Diese Karten gehen nicht verloren, sondern werden im späteren Spiel verwendet, sind aber natürlich den Mitspielern bekannt. Wer will, kann jederzeit passen. Das Ziel der Auktionsrunde ist es, einen „Chef“ und einen „Vize“ zu bestimmen. Chef wird, wer die meisten Karten ausgelegt hat, Vize der mit der zweitgrößten Kartenzahl. Der Chef sucht sich unter allen anderen Spielern – außer dem Vize – an Hand der offen liegenden Karten einen Partner aus und bestimmt entweder eine Farbe oder eine Zahl als Trumpf. Seine Auswahl ist dabei allerdings auf die Farben oder Zahlen beschränkt, die er offen ausgelegt hatte. Nun ist es am Vize, einen weiteren Trumpf zu benennen, der aber im Rang nach dem Chef-Trumpf kommt. Dann beginnt das „normale“ Stichspiel. Farbe muss bedient werden. Wer in einer Farbe frei ist kann abwerfen, was er will. Gespielt wird aus der Hand oder von den ausgelegten Karten auf dem Tisch.

Ziel ist es, möglichst viele Punkte zu hamstern. Die Punkte sind nicht etwa die Zahlenwerte auf den Karten, sondern besondere Markierungspunkte, von denen es insgesamt 60 im ganzen Spiel gibt. Der Clou bei der ganzen Geschichte ist die Doppelbödigkeit der Zählweise. Zunächst spielt jeder für sich. Bei der Abrechnung zählt also jeder Spieler die Markierungspunkte aus den Stichen, die er gewonnen hat. Dann wird festgestellt, ob der Chef mit seinem Partner die erforderlichen Punkte gemacht hat. Die ergeben sich aus der Zahl der Karten, die der Chef aufgelegt hatte. Nun hat das Auslegen vieler Karten so seine Tücken. Schon bei einer einzigen ausgelegten Karte muß das Chef-Team 20 der 60 möglichen Punkte machen. Da aber immer mehrere Karten ausgelegt werden, steigt auch der Wert der Aufgabe entsprechend. Darüber hinaus steckt in der Auktion ein preistreiberisches Risiko. Wenn es darum geht, den Chef zu ermitteln, ist nämlich eine gleiche Kartenzahl nicht zulässig. Wer als Letzter nur gleichgezogen hatte, muss noch eine Karte drauflegen oder das Spiel platzt und der Provokateur kassiert einen Sack voll Minuspunkte.

Anders als im harten Wirtschaftsleben ist hier allerdings ein kleines Stückchen ausgleichender Gerechtigkeit im Spiel. Schafft das Chefteam sein Punktesoll nicht, so bekommt nur der Chef die Minuspunkte. Der Partner kommt unbeschadet davon. Wird allerdings die Punktevorgabe erreicht, so kassiert er Punkte mit. Dadurch ändert sich natürlich der Spielverlauf. Man kann es sich als Partner nicht leisten, nur auf die eigenen Stiche zu schielen, sondern muss ständig dem Chef in die Hand spielen. Deshalb kann auch in der Gegenpartei nicht nur jeder für sich, sondern nur im Team spielen, denn das gemeinsame Ziel ist stets, das Chefteam zu Fall zu bringen.

Die Regeln enthalten noch weitere fünf Spiele, die mit diesem Kartensatz gespielt werden können. Doch MÜ ist schlicht der Hit. Eindrucksvoll ist übrigens nicht nur der stimmige, spannende Ablauf, sondern auch die brillante Gestaltung. Die Karten zeigen klare, moderne Zahlen und in der Bildmitte einen Ornamentstreifen, der je nach Farbe eine bestimmte Tierart in erstklassiger Jugendstil-Graphik darstellt. Gerade bei einem Kleinstverlag, der nicht über die professionellen Mittel der Großen verfügt, ist so eine Anstrengung besonders bemerkenswert.